Brüder der Nacht

Ein Kapitän, ein Schiff, zwei Matrosen, die Donau, im Hintergrund die Wiener Skyline. Ob das gespielt ist oder echt, ist nicht die Frage. Die Protagonisten in „Brüder der Nacht” gibt es wirklich, sie sind bulgarische Roma, keine Schauspieler, auch wenn sie sich gern selbstverliebt zur Schau stellen und spielen, manchmal wie Tigerjungen, manchmal wie die schwulen Matrosen aus Fassbinders „Querelle“, manchmal wie Marlon Brandos Enkel, die ihre Lederjacken wie Schutzhüllen tragen. Armut und Abenteuerlust haben sie nach Wien gebracht. Sie verkaufen ihre Körper, weil sie sich ihr Leben nicht als Bettler oder Zeitungverkäufer verdingen wollen. Ihre Kunden sind einsame, meist ältere Männer aus dem Gemeindebau. Mit ihnen machen sie ‚Business’, als ob das Wort eine klare Grenze zwischen Arbeit und Lust ziehen könnte.

Es ist eine künstliche Welt in der realen, und sie ist temporär. Die Bulgaren haben den Platz der Rumänen eingenommen, die nach Italien weitergezogen sind. Wahrheit und Lüge! Nüchternheit und Rausch! Ein Leben zwischen den Welten. In Bulgarien die Heirat mit 16. Das Kind 6 Monate später. Die wirtschaftliche Not der Verwandtschaft. Man muss weg. Und dann in Wien das blau-rosa
Nachtleben im Café Rüdiger, die Macho-Sprüche, die Phantasie vom großen Geld, das sich in blinkenden Gürtelschnallen und schwarzen Schrottkarren materialisiert. Es wird geflunkert und geprahlt, was das Zeug hält. In der Nacht ist alles möglich. Unter Brüdern.

 

REGIE STATEMENT

„Als ich eines Abends, in Wien, in einem sehr seltsamen Lokal gestrandet war, wusste ich, dass ich meinen neuen Film gefunden hatte: Die Bar war heruntergekommen und gleichzeitig kitschig schön, wie aus der Zeit gefallen. Auf den Bänken saßen alte einsame Männer. Um den Billardtisch posierten stolze, unberechenbare junge Burschen, die mich sofort an die schönen, aber auch gebrochenen Helden von Pasolini oder Fassbinder erinnerten. Körper wie ihre hatte ich schon lange nicht mehr im Kino gesehen, die spielerische Art mit der sie sich bewegen, tanzen, herumlungern und dauerreden. Diese Menschen wollte ich kennenlernen und filmen.

Die Burschen sind junge bulgarische Roma, die die Armut, ihre Familien und gesellschaftliche Konventionen hinter sich gelassen haben. Nur wirklich frei sind sie in Wien auch nicht. Sie stecken in einem Zwiespalt. Einerseits müssen sie Sex mit Männern haben, deren Körper sie abstoßend finden, andererseits können sie hier, fern von Frau und Kindern, fern von Verantwortung, endlich jung sein.

Ich wollte einen Film nicht über sie, sondern mit ihnen machen. Voller Energie und verspielt. In ihrer Arbeit spielen sie Rollen. Im Alltag spielen sie sich ständig etwas vor. Ihr Leben ist voller Fiktion, voller Geschichten, die sie sich erzählen. Sie sind stolz auf sich. Großzügig. Phantasievoll. Verantwortungslos. Auf der Suche. Deshalb habe ich nach einer Form gesucht, die ihnen Raum gibt. Alles Inszenierte haben wir gemeinsam erfunden. Die Fiktion ist oft wahrer oder reeller, als eine naturalistische Kamera, die nur auf ökonomische oder soziale Wunden starrt. Aber im Film, so wie im Leben der Burschen, verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion, Spiegel und Fantasie. „Brüder der Nacht” sollte mehr als alles andere ein Film über Gefühle werden.“

Patric Chiha

Pressespiegel

„Patric Chihas Dokumentarfilm über junge Stricher in Wien wandelt zwischen Milieurealismus und Künstlichkeit – und erinnert an die Arbeiten Fassbinders.“ Der Standard

„Es ist ein großer Film der Lust.“ kino-zeit.de

„Statt von oben herab Sozialkritik zu predigen, bietet Chiha diesen Menschen einen Bühne zur Selbstinszenierung, lässt sie im schummrigen Rotlicht (Wunsch-)Identitäten ausagieren, in Lederjacken und Matrosenhemden streiten und zärtlich sein – eine spielerische Milieustudie, die von Herzen und über die Lüge zur Wahrheit kommt.“ Die Presse

„Hinreißende Bilder, in denen kaum etwas geschieht, und doch sehr viel.“ Perlentaucher

„Ohne sich von der sozialen und wirtschaftlichen Gewalt ihrer Situation zu entfernen, erlaubt die Künstlichkeit jenseits des Themas, eine Wahrheit zu erreichen, wo Wirklichkeit und Fiktion ineinander verschmelzen.“ Cahiers du Cinéma

„Man weiß nicht, wie es Patric Chiha geschafft hat, dass sich die Burschen ohne Maske zeigen und so offen alles über die schamlosen Verhandlungen mit Kunden erzählen.“ Libération

„Unser virtueller Goldener Bär der Nebenschienen ist Brüder der Nacht. Die Burschen haben eine beeindruckende kinematographische Präsenz, eine unglaubliche Gewandtheit mit Wörtern zu spielen, sie werden in rosa, roten, blauen Lichter gefilmt und die Musik ist wunderschön. Der Film erinnert an keine Geringeren als Fassbinder, Pasolini oder Kenneth Anger. Für solche Entdeckungen ist es die Reise zur Berlinale wert.“ Les Inrockuptibles

„Eine Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm, in dem die Protagonisten ihr eigenes Leben darstellen.“ Der Falter

„Dieser Dokumentarfilm versucht in keinem Moment, eine ethische Botschaft zu predigen; keine alles durchdringende Stimme dämonisiert oder wertet das älteste Gewerbe der Welt, um das es hier geht – sogar die Gespräche zwischen den Männern, die anschaffen, und ihren Kunden werden wertfrei gezeigt. Der Film braucht keinen allumfassenden moralischen Unterton, es gelingt ihm viel mehr, ein krasses Bild von Menschen zu zeigen, die in ein Leben hineingeraten sind, das sie für sich selbst niemals für möglich gehalten haben.“ The Upcoming

„Ein durch und durch ehrlicher, zugleich aber auch magisch entrückter Film.“ filmstarts.de

Biografie

Patric Chiha wurde 1975 in Wien geboren. Er lebt seit seinem 18. Lebensjahr in Paris, wo er zunächst Modedesign studierte. Darauf folgte ein Studium der Filmmontage an der INSAS in Brüssel. 2009 drehte er seinen ersten Langspielfilm Domaine, der beim Filmfestival in Venedig Premiere feierte. Seine Filme werden erfolgreich auf internationalen Festivals gezeigt. Darunter Boys like us (2014) und die Dokumentarfilme Brüder der Nacht (2016) und Si c’était de l’amour (2020) die beide auf der Berlinale uraufgeführt wurden. Das Tier im Dschungel (2023), der ebenfalls auf der Berlinale Premiere feiert, ist sein fünfter abendfüllender Film.

Langfilme
2009: Domaine
2014: Boys like us
2016: Brüder der Nacht
2020: Si c’était de l’amour (Wenn es Liebe wäre)
2023: Das Tier im Dschungel

Kurzfilme
2004: Casa Ugalde
2005: Les Messieurs (Die Herren)
2006: Home
2007: Où se trouve le chef de la prison?

Festivals & Preise

Duisburg 2016 / 3sat-Dokumentarfilmpreis für besten deutschsprachigen Dokumentarfilm
FIDMarseille 2016 / GNCR Prize
Olhar de Cinema, Festival Internacional de Curitiba ’16 / Special Jury Award
Lebanese Film Festival ’16 / Special Mention
Bergen International Film Festival ’16 / Best Documentary Film “Documentaire Extraordinaire“
RIDM Rencontres internationales du documentaire ’16, Montreal / Best Cinematography – International Feature
Chéries-Chéris, LGBTQ Film festival ’16, Paris / Best Performance Award for the whole cast
EntreVues IFF ’16, Belfort / Camira Award for feature film
International Queer Film Festival Merlinka ’16, Belgrade / Special Mention

Berlinale 2016
Diagonale Festival des österreichischen Films 2016
Indielisboa ’16 – Lissabon
Subversive Festival ’16 – Zagreb
Valletta Film festival ’16 – Malta
Transilvania International Film Festival ’16 – Cluj-Napoca

Material

Filmplakat

Foto
Plakat