Herz aus Eis (La Tour de Glace)
Info
FR/DE-2025, 118 Min. Französisch Originalsprache, Omd/eU und deutsche Fassung
Regie Lucile Hadžihalilović | Buch Lucile Hadžihalilović, Geoff Cox unter Mitarbeit von Alanté Kavaīté, inspiriert von Die Schneekönigin von Hans Christian Andersen
| Kamera Jonathan Ricquebourg | Schnitt Nassim Gordji Tehrani | Sound Design Ken Yasumoto, Etienne Haug | Szenenbild Julia Irribarria | Casting Lydia Le Doeuff | Produzent*in Muriel Merlin | Koproduzent*innen Victor Hadida, Ingmar Trost
Produktion 3B Productions (FR) | Koproduktion Davis Films (FR), Sutor Kolonko (DE), Arte France (FR), Bayerischer Rundfunk (DE)
Mit Marion Cotillard, Clara Pacini, August Diehl, Gaspar Noé, Marine Gesbert, Lilas-Rose Gilberti
Kälter als Eis sticht ihr Kuss mitten ins Herz ... 1970er-Jahre. Angezogen von den Lichtern der Stadt im Tal, nimmt die 16-jährige Jeanne aus einem Kinderheim in den Bergen Reißaus. Sie findet Unterschlupf in einem Filmstudio, das sie nachts in aller Ruhe erkundet. Tagsüber wird hier der Film Die Schneekönigin gedreht, in dem die geheimnisvolle Cristina die Hauptrolle spielt. Der wunderschöne, leidgeprüfte Star zieht Jeanne sofort in den Bann. Zwischen dem Mädchen und der Schauspielerin entwickelt sich eine gegenseitige Faszination. Allmählich nimmt Jeanne eine immer wichtigere Rolle bei dem Dreh ein. Während ihre Obsession für das Reich der Schneekönigin wächst, verbinden sich zwischen Set und Leinwand Film und Realität zu einem magischen, labyrinthischen Spiel. Doch das hat seinen Preis. Liebt Jeanne die Schneekönigin genug, um das Opfer zu bringen, das diese von ihr verlangt?
Spieltermine
Kinostart: 19.12.2025
Premiere in Anwesenheit der Regisseurin: Do. 18.12.2025 20 Uhr im Metro Kinokulturhaus
Pressespiegel
„Voller realem Schmerz, Einsamkeit und geheimnisvoller, magischer Schönheit.“ — Guillermo del Toro
„FROZEN meets MULHOLLAND DRIVE“ The Hollywood Reporter
„Verzaubert und bleibt lange im Gedächtnis.“ IndieWire
„Es ist letztlich die Sehnsucht, in der all diese Ebenen zusammengebracht werden; von der Sehnsucht wiederum lässt sich nur in der Verbindung all dieser Formen erzählen. Dass der Film dies zu vereinen versteht – und dies in betörend finsterer Schönheit und Ästhetik vollzieht – weist ihn als wahrhaftiges Kunstwerk aus.“ artechok
„Herz aus Eis ist das Spiegelbild des Reiches der Königin: grenzenlos, majestätisch und von funkelndem Glanz durchdrungen.“ Le Monde
★★★★★ „Ein hypnotisches Melodrama, das Sinnlichkeit mit nervöser Anspannung mischt und am Rand der Katastrophe balanciert.“ The Guardian
★★★★★ „Herz aus Eis ist zugleich Märchen, Alptraum und ein Meta-Film übers Filmemachen“ RBB
„Marion Cotillard erscheint als Schneekönigin von mythischer Ferne – magnetisch, geheimnisvoll, unwiderstehlich.“ Le Figaro
„Von überwältigender Schönheit.“ Screen
„Konsequent, gehaltvoll und geistreich“ Cineuropa
„Hadžihalilović zieht das Publikum einmal mehr in seinen Bann und führt es in eine Geschichte von Sehnsucht und sozialer Indoktrination, zwischen Realität und Fantasie.“ InSession Film
„Herausragende Darstellung von Marion Cotillard.“ The Guardian
„Eine betörende, eisige Träumerei über den weiblichen Vampirismus.“ Libération
„Der Film von Lucile Hadžihalilović ist von großer Schönheit.“ Les Inrocks
„Herz aus Eis entfaltet erneut die Magie von Lucile Hadžihalilović: In eisigen Landschaften lodert die Glut der Gefühle auf.“ Culturopoing
„Herz aus Eis ist wunderschön anzusehen, so strukturiert und üppig zugleich.“ The Film Stage
„In jeder Einstellung traumhaft schön, mit einer bahnbrechenden Hauptdarstellerin, der jungen französischen Schauspielerin Clara Pacini.“ Screen
Biografie
Die Autorin und Regisseurin gründete in den frühen 1990-er Jahren die Produktionsfirma Les Cinemas de la Zone mit Gaspar Noé, mit dem sie an mehreren Filmen zusammenarbeite. Ihr Debütfilm La bouche de Jean-Pierre, bei dem sie für Regie, Drehbuch, Schnitt und Produktion verantwortlich war, feierte 1996 in Cannes (Un Certain Regard) Premiere. 2004 wurde ihr Mystery-Drama Innocence in San Sebastián mit dem New Directors Award ausgezeichnet; der Horrorfilm Evolution gewann dort 2015 den Spezialpreis der Jury, Earwig 2022 den Preis für den besten Film. 2018 war sie mit ihrem Kurzfilm De Natura zu Gast bei der Berlinale.
Filmografie
2025 La Tour de Glace (Herz aus Eis)
2022 Earwig
2017 De Natura (Kurzfilm)
2015 Evolution
2014 Nectar (Kurzfilm)
2004 Innocence
1996 La bouche de Jean-Pierre (Mimi)
Festivals & Preise
Berlinale Wettbewerb - Silberner Bär für eine herausragende künstlerische Leistung
Crossing Europe Linz
Material










Plakat, Foto, SocialMediaPackage
Interviews
INTERVIEW MIT LUCILE HADŽIHALILOVIĆ
Geführt von Michele Salimbeni
Können Sie etwas über die Entstehung des Films und seine Beziehung zu Andersens Märchen Die Schneekönigin erzählen?
Ich hatte das Glück, Hans Christian Andersen im Alter von fünf Jahren zu entdecken, als meine Mutter mir die ungekürzten Versionen seiner Märchen vorlas. Seitdem faszinieren sie mich immer wieder, sowohl wegen ihrer menschlichen Komplexität, ihrer sensiblen und nicht moralistischen Darstellung unserer Ängste und Wünsche als auch wegen ihrer reichen poetischen Vorstellungskraft. Die Schneekönigin gefällt mir besonders gut, aber ich habe mich nur sehr lose von dem Hauptthema inspirieren lassen: Ein junges Mädchen macht sich auf die Suche nach dem Menschen, den sie liebt, der von der Schneekönigin entführt wurde, und gelangt in deren Reich, das gefrorene Königreich der Toten. Die Schneekönigin selbst fasziniert mich besonders: eine vollkommene und allwissende Gestalt, unzugänglich und geheimnisvoll, gleichzeitig attraktiv und furchterregend. Die Begegnung zwischen dem jungen Mädchen und dieser Königin war der Ausgangspunkt für diesen Film.
Wie haben Sie an dem Drehbuch gearbeitet?
Zunächst habe ich alleine daran gearbeitet, um das Material zu finden, das mich an der Geschichte am meisten interessierte. Von Anfang an habe ich mich dafür entschieden, es in die Realität zu übertragen und eine klassische, lineare Erzählung zu konstruieren. Aber man kann sich selbst nicht entkommen, und irgendwann verschwammen die Erzählung und die Zeitebenen von HERZ AUS EIS wie in einem Traum. Gemeinsam mit dem Drehbuchautor Geoff Cox haben wir sowohl die emotionale Reise der Figuren als auch die Struktur entwickelt. Wir verfolgen einen indirekten Ansatz beim Geschichtenerzählen, der sich nicht stark auf Dialoge stützt. Wir versuchen, die Geschichte durch Details zu erzählen und die Erfahrungen der Figuren durch visuelle Elemente – Beleuchtung, Atmosphäre, Farben, Details der Kulissen, Requisiten und Kostüme – sowie Geräusche und durch Verbindungen zwischen diesen Elementen zu vermitteln. Ein bisschen wie in einem Gedicht. Die Produzentin Muriel Merlin las eine frühe Version des Drehbuchs und war von dem Projekt begeistert.
Dies ist Ihr zweiter Film mit Marion Cotillard…
Ich war so glücklich, Marion zwanzig Jahre nach Innocence wiederzufinden, um die Doppelrolle einer Filmikone (Cristina) und der Schneekönigin zu spielen. Marion besitzt eine moderne und zugleich zeitlose Ausstrahlung, die ich in meinen Filmen suche; ein Gesicht, das die Ausdruckskraft von Schauspielerinnen aus den 1930er Jahren hat – der Zeit, auf die sich der Filmx in HERZ AUS EIS bezieht. Aber ihre Darstellung ist auch sehr modern, mit einer Energie, die an Schauspielende der 70er Jahre erinnert, einer Ära des Kinos, die – implizit – diesen Film nährt.
Ihre intensive Filmpräsenz, ihre an Hitchcock erinnernde Schönheit und Eleganz würden einen Teenager absolut in ihren Bann ziehen. Wir mussten nicht viel besprechen oder proben, vielleicht weil Innocence uns irgendwie verbunden hatte und Marion wusste, dass ich eine zurückhaltende Darstellung suchte. Sie spielt denselben Charaktertyp: ein weibliches Ideal (die Tanzlehrerin in Innocence und jetzt die Filmschauspielerin), aber mit einer verborgenen Wunde. In beiden ällen sieht sich diese Figur mit jungen Mädchen konfrontiert, Spiegelbildern dessen, was sie hätte sein können. Sie wird mit dem konfrontiert, was aus ihr geworden ist. In HERZ AUS EIS drückt die Mehrdeutigkeit ihrer Darstellung die ihres Charakters aus. Wir wissen nie, ob Cristinas Gefühle echt oder vorgetäuscht sind, noch inwieweit sie von der Königin „besessen“ ist oder nicht. Marion wusste genau, wie sie die manchmal paradoxen Facetten ihrer Figur darstellen musste: kalt, distanziert und herrisch, aber auch impulsiv, leidenschaftlich, sinnlich, schließlich zerbrechlich und zutiefst melancholisch. Sie bewegt sich subtil und glaubwürdig zwischen Verführung und Drohung, und die beunruhigende Seite, die sie in dem Film offenbart, habe ich selten bei ihr gesehen und ließ mich erschauern.
Sie haben Ihren ersten Spielfilm INNOCENCE erwähnt. Gibt es in Ihrer Filmografie eine Kontinuität von einem Werk zum anderen?
Ich stelle fest, dass sich dieselben Motive und Erzählstrukturen von Film zu Film wiederholen: die „märchenhafte“ Form; die Reifung einer jungen Protagonistin, die eine geheimnisvolle Welt erkundet, die von mehr oder weniger phantasmagorischen Erwachsenen bevölkert ist; die Figur der toxischen Mutter – sei es durch ihr Handeln oder ihre Abwesenheit. Außerdem Enge, leere, labyrinthische Räume. Und dann noch die Natur, die mit weiblichen Figuren verbunden ist, mit Wasser als Hauptelement in all seinen Formen: Flüsse, Seen, Brunnen, Wasserfälle, Regen, Schnee und Eis ... Ein unglaublich filmisches Element.
Der Film knüpft an die metacinematografische Form an, die in bedeutenden Werken wie Fellinis 8½ (1963) und Truffauts Die amerikanische Nacht (1973) zu sehen ist. Wie fügt sich HERZ AUS EIS in diese Tradition, die fast schon ein Subgenre ist?
Es gibt ein sehr wichtiges Element in Andersens Märchen: einen Spiegel, der ein verzerrtes Bild der Welt widerspiegelt. Ich dachte, dass das reale Äquivalent zu diesem Spiegel sowohl die Kameralinse als auch die Kinoleinwand sein könnte. Außerdem wollte ich von Anfang an einen Film im Film, wobei der eine das Double des anderen ist, der eine realistisch, der andere fantastisch. Und dann kam natürlich der Wunsch, dass die beiden Filme wie russische Puppen ineinanderpassen, sich vermischen ... Umso mehr, weil dieser Film im Film durch die Augen des jungen Mädchens, gespielt von Clara Pacini, wie ein Traum gesehen wird: ihr Traum. Diese Möglichkeit war sehr inspirierend. Andererseits „kontaminiert“ die poetische Welt des Films im Film die reale Welt, angefangen beim Studio, in dem die Geschichte spielt und das zu einer Erweiterung des Königreichs wird. Sie greift sogar auf die Stadt über und kristallisiert sich in der Eislaufbahn, einem Portal zu einem magischen Reich. Schließlich ermöglichte mir das Filmstudio, die Bilder auf der Leinwand im Vorführraum mit einem spannenden Effekt der Verdopplung und Wiederholung zu zeigen. Denn HERZ AUS EIS ist weniger eine Geschichte über die Entstehung eines Films als vielmehr über die Faszination, die projizierte Bilder auf die Zuschauer*innen ausüben. filmisches Element.
Könnte man die Kulisse der 70er Jahre als eine Art geheime Autobiografie betrachten? Ich denke dabei an die Entdeckung und Faszination eines Teenagers für das Kino. Und wie sind Sie an die Darstellung der Figur des Regisseurs herangegangen?
Diese Ära, in der Bilder und Informationen noch nicht so allgegenwärtig waren, begünstigte Jeannes Unschuld und die verführerische Mystik und Macht eines Filmstars. Aber natürlich hat die Wahl einer jugendlichen Protagonistin und die Tatsache, dass die Geschichte in den 70er Jahren spielt, auch einen autobiografischen Aspekt. Es ist das Jahrzehnt meiner eigenen Jugend, in dem ich das Kino entdeckt habe und mich zum ersten Mal dafür zu begeistern begann. Wenn es in dem Film ein Selbstporträt gibt, dann natürlich durch die junge Frau und nicht durch die Figur des Regisseurs, der eher passiv und aus der Geschichte herausgenommen ist. Umso mehr, als es Jeanne ist, die sozusagen den Film im Film träumt und dessen Autorin ist. Um diesen Regisseur zu verkörpern – dessen Name, Dino Dorato, eine Anspielung auf Dario Argento ist, dessen Filme mich so geprägt haben, auch wenn die Art von Fantasie, die Dorato macht, eher an das deutsche oder französische Kino erinnert –, dachte ich, dass es sehr reizvoll wäre, einen echten Regisseur zu besetzen. Am Ende habe ich mich für jemanden entschieden, der sich sehr von der Figur unterscheidet. Gaspar Noé hatte Spaß daran, sich in einen Regisseur zu verwandeln, wie man ihn in bestimmten Filmen der 60er und 70er Jahre sieht, der aber weder er noch ich ist.
Lassen Sie uns über die Richtung, den Stil sprechen. Was waren Ihre wichtigsten Entscheidungen hinsichtlich des Bildes und der filmischen Sprache? Wir bemerken eine besondere, fast expressionistische Aufmerksamkeit für den Einsatz von Licht, Schatten und insbesondere reflektiertem Licht...
Über Kino zu sprechen bedeutet, über Schatten und Licht zu sprechen. Kameramann Jonathan Ricquebourg spielte mit Gegensätzen: die Dunkelheit des Vorführraums und der Studiokorridore bei Nacht im Kontrast zu den Lichtern des Sets; die Helligkeit des Berges bei Tag, die Dunkelheit des Berges bei Nacht... Und natürlich gibt es den Kristall, den Jeanne aus dem Mantel der Königin stiehlt, und seine Reflexionen, wie eine Metapher für die Kameralinse, durch die das Licht fällt und mit der sie wie ein Zauberlehrling spielt... Dieser Kristall, der die Macht hat, „das Reich der Königin in seiner ganzen Pracht“, aber auch „tausend andere Königreiche“ zu offenbaren. Er ist eine offensichtliche Metapher für das Wesen des Kinos. Das deutsche expressionistische Kino war während der Vorbereitung eine Referenz. Dennoch spielt HERZ AUS EIS in einer realistischeren Umgebung als meine früheren Filme, in der Jeanne allein das Wunderbare heraufbeschwört. In dieser Hinsicht ist der Film zweifellos näher am poetischen oder magischen Realismus. Ich habe ähnliche stilistische Entscheidungen getroffen wie in meinen früheren Filmen: feste Einstellungen, die Verwendung einer einzigen Brennweite, natürliche Beleuchtung oder die Verwendung von Elementen, die im Dekor vorhanden sind. Nur Dino Dorato hatte das Recht, von diesen Regeln abzuweichen, und er verwendete Kamerafahrten und ein anamorphotisches Objektiv, genau wie es ein Filmemacher aus den 70er Jahren getan hätte!
Und wie sah die Arbeit an den Farben aus?
Wir arbeiteten mit dem Kameramann, der Produktionsdesignerin Julia Irribaria und dem Kostümdesigner Laurence Benoit zusammen und gingen dabei vom Weiß des Schnees – echt oder künstlich – und der Kinoleinwand sowie einer Farbe aus, die natürlich im Kleid der Königin zu finden ist. Im Gegensatz dazu erinnern die Farben der Kostüme der Statist*innen, der Eisläufer*innen, der Filmcrew und der Studioausstattung – insbesondere Cristinas Garderobe mit ihren warmen Braun- und Bronzetönen – an die 70er Jahre. Schließlich haben wir jeder Hauptfigur eine ausdrucksstarke Farbe zugewiesen: ein beunruhigendes Violett für Cristina, Jeannes dramatisches Rot, ein beruhigendes Gelb für Bianca ...
Der Film hat auch eine sehr reichhaltige akustische Landschaft. Wie gehen Sie mit Ton, Musik und Liedern um?
Der Ton ist wirklich die Innerlichkeit der Figuren. Aber anstatt ihn in erster Linie durch Musik wiederzugeben, spielte Ken Yasumoto, der sowohl Toneditor als auch Mischtonmeister des Films ist, mit Soundeffekten, Ambientes, Hall und der Textur der Klänge. Wir haben auch viel mit Stille gearbeitet. Indem wir so weit wie möglich alle störenden Geräusche eliminiert haben, wollten wir auch in den realen Kulissen (der Stadt, dem Studio, dem Berg) ein Gefühl der Entfremdung, der Derealisation erzeugen und den Eindruck einer mentalen, „inneren” Welt vermitteln. Wir haben in der Postproduktion vieles rekonstruiert, sind dabei aber sparsam mit den verwendeten Elementen umgegangen. Gleich zu Beginn der Bearbeitung fragte mich der Cutter Nassim Gordji-Tehrani nach Musik, und auch wenn es am Ende nicht so viel ist, habe ich doch mehr verwendet als in meinen früheren Filmen. Zunächst für Jeannes Motiv einen Auszug aus Messiaens La Fête des Belles-eaux, einem Stück, das sowohl melancholisch als auch traumhaft ist und nach den Worten des Komponisten ein Gefühl von „Anmut und Ewigkeit“ vermittelt. Als Erweiterung und um Jeanne während des Abspanns zu begleiten, haben wir einen Auszug aus der Turangalîla-Symphonie, ebenfalls von Messiaen, verwendet. In beiden Stücken kommt das Ondes Martenot zum Einsatz, ein frühes elektronisches Instrument, dessen überirdischer Charakter Geister und Träume heraufbeschwört. Das Motiv der Königin, das ihre Macht und Bedrohlichkeit vermitteln soll, verwendet Streicher, die an Ligeti oder sogar Bernard Hermann erinnern, aber vom Musikproduzenten Lexx zeitgemäßer überarbeitet wurden. Wir haben Stücke verwendet, die in die Geschichte integriert sind und die Epoche widerspiegeln, in der der Film spielt: It’s Five O‘Clock von Aphrodite’s Child für die Eislaufbahn sowie italienische und psychedelische Popmusik, die im Radio im Studio zu hören ist. Es ist das erste Mal, dass ich bekannte Songs in einem Film verwendet habe. Ein Song ist wie eine Mini-Geschichte innerhalb einer Geschichte; auch wenn der Text die Handlung des Films nicht wiederholt, spiegelt er sie doch irgendwie wider.
Können Sie etwas über die Bedeutung und Ausdruckskraft der Nahaufnahme sagen?
In HERZ AUS EIS haben wir, wie in allen meinen Filmen, das Cinemascope-Format verwendet, das sowohl Nahaufnahmen als auch Weitwinkelaufnahmen der Landschaften eine echte Ausdruckskraft verleiht. Ich habe zahlreiche Nahaufnahmen des jungen Mädchens verwendet, dessen Blick in gewisser Weise der rote Faden des Films ist.
Jeanne schaut, und wir beobachten sie dabei. Während des gesamten Films lässt uns der Blick des jungen Mädchensdie Idee des Todes wahrnehmen, was mich an die Worte eines Gedichts von Cesare Pavese erinnert: „Der Tod wird kommen und er wird deine Augen haben.“
Neben dem Kino – und sicherlich, weil sie untrennbar miteinander verbunden sind – ist der Tod das andere große Thema des Films. In Andersens Märchen muss das von der Schneekönigin gefangene Kind ein Wort bilden, um sich zu befreien, und dieses Wort lautet „Ewigkeit“. Die Ewigkeit der Bilder, die auf eine weiße Leinwand projiziert werden. Oder um es mit den Worten von Jeanne zu sagen: „Die Königin hat ihr Reich, und es ist für immer da.“ Außerdem erfahren wir im Laufe des Films, dass Jeanne von einer toten Frau heimgesucht wird. Ohne es zu wissen, wird sie ihr begegnen, wenn sie das Kinderheim verlässt. Sie ist es, die sie herbeiruft und in der Schneekönigin findet, die wie ein Geist durch den Film schwebt. Clara Pacini, die Jeanne spielt, ist Studentin am Conservatoire national supérieur d‘arts dramatiques in Paris und hatte vor ihrer Rolle in diesem Film nur einen einzigen Kurzfilm gedreht. Aber während der Castings war ich von der Subtilität ihres Spiels und ihrer Reife fasziniert. Das hat ihr sicherlich dabei geholfen, die unterschiedlichen Gefühlszustände der Figur zu meistern. Ihre Anmut, gepaart mit ihrer Stärke und Entschlossenheit sowie einer unterschwelligen Melancholie, hat mich ebenfalls dazu bewogen, Clara für die Darstellung dieser schwierigen und komplexen Teenagerin auszuwählen: Lügnerin, Diebin, Voyeurin, Manipulatorin... und gleichzeitig absolut aufrichtig und arglos. Generell suche ich bei den Schauspieler*innen in meinen Filmen nach einer Art Innerlichkeit, einer Neutralität. Eher nach einer Präsenz als nach einer Darbietung. Clara besitzt diese Präsenz und diese Innerlichkeit, ganz eindeutig.
Eine weitere wichtige Figur in der Geschichte ist Max, gespielt von August Diehl...
August Diehl ist ein wunderbarer Schauspieler, gleichzeitig verführerisch und verstörend, mit einer starken Ausstrahlung. Ich bin sehr froh, dass er zugestimmt hat, in dem Film mitzuspielen. Obwohl seine Figur nur wenige Szenen hat, gelang es ihm, Max, Cristinas unruhigem Retter, eine beeindruckende Präsenz zu verleihen. Seine Darstellung ist sowohl subtil als auch komplex, und seine Kreativität und sein Engagement sind der Traum eines jeden Regisseurs!
Sind Besessenheit und Opferbereitschaft die Hauptthemen des Films?
Auf jeden Fall. Das sind auch wiederkehrende Themen in Andersens Märchen, die damit keineswegs Geschichten für Kinder sind! Für ihn ist Opferbereitschaft, wie auch im Film, ein intimer Akt, der nicht dazu dient, die Welt oder irgendjemanden zu retten, sondern um einem anderen seine Liebe zu beweisen. In diesem Fall ist es ein Akt, der untrennbar mit Schuld und der Weitergabe von Traumata verbunden ist. Was die gegenseitige Besessenheit zwischen Jeanne und Cristina sowie die Besessenheit von Bildern angeht, so gehen diese Hand in Hand mit den Themen Verzauberung und der Macht, die die beiden Frauen übereinander ausüben.
Die Landschaft ist ein weiteres wichtiges Element. Der Berg als Echo einer inneren Landschaft.
Die Landschaft, in diesem Fall die Berge und Gletscher, spiegelt die Innerlichkeit der Figuren auf expressionistische oder symbolistische Weise wider: die gefrorene, isolierte und karge mineralische Welt, die Jeanne zu Beginn des Films umgibt; dann ihre weichere, verfeinerte Manifestation in der bemalten Kulisse des Filmsets; und schließlich die geheimnisvollen Höhen, sowohl real als auch künstlich, am Ende des Films, die tief mit Cristina verbunden sind.
Was waren, die wichtigsten Einflüsse auf diesen Film?
Abgesehen von den Filmen von Powell und Pressburger, dem magischen und skulpturalen Aspekt ihrer Arbeit in Filmen wie Die schwarze Narzisse, Die roten Schuhe oder Hoffmanns Erzählungen, hatte ich keine genauen bewussten Referenzen, aber ich bin so sehr von bestimmten Filmen geprägt, dass sie HERZ AUS EIS vielleicht heimgesucht haben, ohne dass ich sie heraufbeschworen habe: das italienische Kino der 70er Jahre, angefangen bei Gialli und Fantasyfilmen wegen ihrer Atmosphäre und ihrer Sensationslust, ihrer visuellen Extravaganz und ihrem Geheimnis. Aber auch Hitchcock, Sirk und Fassbinder, jeder auf seine Weise, wegen der Mischung aus Realismus und Künstlichkeit, Schönheit und Grausamkeit. Ein Kino der Faszination und Obsession...
Und schließlich ist das klassische japanische Kino von Mizoguchi, Naruse oder Kinoshita für mich äußerst inspirierend in seinen formalen Aspekten (insbesondere der Bildkomposition und dem Schnitt) sowie seiner großartigen Poesie und seiner Suche nach Reinheit. Das ist es, was ich anstreben möchte. Ich suche nach einer Art Minimalismus und arbeite eher durch Weglassen als durch Hinzufügen. In gewisser Weise ein Kino der Destillation.
In Ihren Werken gibt es normalerweise wenig Dialog. Wie ist Ihre Beziehung zum Stummfilm?
Es ist das goldene Zeitalter des Kinos! Eine Ära, in der die Sprache der Filme der Sprache der Träume nahekam.
In Ihren Werken finden sich auch bestimmte Elemente des Slow Cinema, zum Beispiel die feste Kamera. Erkennen Sie sich in dieser Bewegung wieder?
Ich weiß nicht, ob ich Teil einer Bewegung bin, aber tatsächlich finde ich oft mehr Inspiration und Intensität in der Kontemplation als in der Geschwindigkeit. Und ich möchte, dass die Menschen eher fühlen als verstehen. Ich möchte, dass meine Zuschauer wie hypnotisiert die physischen und emotionalen Erfahrungen der Figuren miterleben. Mehr als eine Geschichte zu erzählen, interessiert mich die Schaffung eines Universums, einer Welt, in der der Zuschauer*innen für die Dauer des Films leben kann.