Music

Jon wird bei seiner Geburt in einer stürmischen Nacht in den griechischen Bergen gefunden und adoptiert, ohne seinen Vater oder seine Mutter gekannt zu haben.

Als Erwachsener lernt er Iro kennen, die Aufseherin des Gefängnisses, in dem er nach einem tragischen Unfall inhaftiert ist. Sie scheint seine Anwesenheit zu suchen, kümmert sich um ihn, nimmt für ihn Musik auf. Jons Augenlicht beginnt zu schwinden.

Von nun an wird er für jeden Verlust, den er erleidet, etwas zurückgewinnen. So wird er trotz seiner Erblindung sein Leben mehr denn je leben.

 

 

Spieltermine

Kinostart 03.11.2023 u.a. im Metro Kinokulturhaus und Breitenseer Lichtspiele , KIZ Royalkino Graz, Leokino  Innsbruck, Moviemento  Linz, Viennale'23

Pressespiegel

„Ein gestaltwandelndes Puzzle als rätselhafter Geistesblitz.“  The Guardian
 

„In Music schlägt sich Schanelec auf die Seite einer Kunst der reinen Bezeugung. Als könnte das Kino selbst Musik werden und nur noch das erzählen, wofür man keine Wörter mehr suchen sollte.“ Der Standard

„Es geht um die Auslassungen, um das, was zwischen den Bildern geschieht. Worauf ein Bild verweist, was es präfiguriert, ohne dass man das sehen müsste – daraus entsteht die eigentümliche visuelle Kraft.“ FAZ

„Schanelec verlegt die Geschichte des vom Schicksal verfluchten Mannes, der seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet, nicht einfach nur in unsere Zeit; vielmehr erscheint der Mythos als eine fremde, unzugängliche Macht, die sich den Menschen von außen nähert, die die moderne Welt verzaubert und von sich selbst entzweit.“  Die Presse

„Ein europäisches Drama in unzähligen Takten. Die Dinge heben sich sanft aus ihren Fugen, in keine Unordnung, eher in eine rekursive Grammatik.“ Ray Filmmagazin

Music verbindet archaische Bilder mit einem durch und durch enigmatischen Plot, der im Verlauf des Films mehr und mehr in den Bann zieht - und das im Verein mit der Betörung der Musik.“ Die Furche

„Schanelec bringt es mit scheinbar einfachsten Mitteln zuwege, die Welt so darzustellen, als sähe und höre man sie zum allerersten Mal: wie Sonnenstrahlen über das Gesicht eines Kindes huschen, wie eine junge Frau über die Felslandschaft einer Bucht ins kalte Meer steigt, wie eine sakrale Komposition des Venezianers Antonio Vivaldi, 300 Jahre alte Musik, die Bilder neu zu modulieren versteht.“ profil
 

★★★★☆ „Schanelecs Kino ist eines der Auslassungen, der kunstvollen Ellipsen.“ epd Film
 

„Mit großer Klarheit und einer Sensibilität, die rar geworden ist im Kino, interessiert sich Schanelec in ihrem neuen Film für die Momente, in denen sich alles verändert.“ Perlentaucher

Agathe Bonitzer & Aliocha Schneider im Interview auf arte

„Angela Schanelec demontiert in ihrem traumhaften neuen Film einen Mythos und baut ihn neu zusammen. Jeder Music-Track ist ein kleines Geschenk, und Staat, Religion und Verrat rascheln in Music wie Blätter im Wind.“ critic.de

„Schanelec ermutigt das Publikum, seine Interaktion mit dem Film neu zu gestalten und sich auf seine Rhythmen, seine Symbolik und die Körperlichkeit der Darbietungen zu konzentrieren.“  Screen Daily

„Ein Rätsel und zugleich eine überraschend berührende Erzählung.“ Slant Magazine

„Musik ist ein betörender Film, dessen ruhige, sorgfältig gefertigte Bilder die Kraft der in ihnen wogenden Gefühle nur noch verstärken.“ The Film Stage

„Jede Einstellung dieses Films führt auf einen traumhaften Weg, in einen poetischen Schwebezustand.“ Frankfurter Rundschau

„Schanelec etabliert sich endgültig als eine der prägnanten Stimmen im europäischen Autorenkino.“ Tagesspiegel

„Durch den Verzicht auf bestimmende Einstellungen, auf den üblichen Filmschnitt, auf die meisten narrativen Erläuterungen und sogar auf die traditionelle zeitliche Logik scheint Schanelec entschlossen, eine Art von Zugabe durch Subtraktion zu perfektionieren. Sie hält nach der Substanz der Dinge Ausschau. Das hat etwas Magisches, wenn man sich auf ihre Empfindsamkeit einlassen kann.“ In Review Online

„Nebelschwaden schleichen über die Berge, es donnert, der Boden des Kinosaals vibriert.“  UNCUT

Biografie

Angela Schanelec, geboren 1962 in Aalen, studierte Schauspielerei an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Debüt als Filmschauspielerin mit einer Hauptrolle in Christian Ziewers Historienfilm Der Tod des weißen Pferdes (1985). Bis 1991 war sie als Schauspielerin am Thalia Theater Hamburg, dem Schauspielhaus Köln, der Berliner Schaubühne und dem Schauspielhaus Bochum zu sehen. 1990 nahm sie ein Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) auf, das sie fünf Jahre später abschloss. Ihr Abschlussfilm Das Glück meiner Schwester wurde 1996 mit dem Preis der deutschen Filmkritik als "Bester Film" ausgezeichnet. Mit Filmen wie Marseille (2004) und Nachmittag avancierte sie zur wichtigsten Regisseurin der sogenannten „Berliner Schule“. Sie gewann für ihr Werk zahlreiche Preise, u. a. den Filmkunstpreis des Festivals des deutschen Films Ludwigshafen für Orly und den Silbernen Bären der Berlinale – bestes Drehbuch für Ich war zuhause, aber….

 

Filmographie

2022 Music (Regie, Drehbuch, Schnitt)

2019 Ich war zuhause, aber… (Regie, Drehbuch, Schnitt, Produzentin)

2016 Der Traumhafte Weg (Regie, Drehbuch, Schnitt)

2014 Ponts de Sarajevo (Regie)

2010 Orly (Regie, Drehbuch, Produzentin)

2009 Deutschland '09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation (Regie, Drehbuch)

2009 Erster Tag (Regie, Drehbuch)

2007 Nachmittag (Regie, Darstellerin, Drehbuch, Produzentin)

2004 Marseille (Regie, Drehbuch)

2001 Mein langsames Leben (Regie, Darstellerin, Drehbuch, Schnitt)

1998 Plätze in Städten (Regie, Drehbuch, Schnitt)

1995 Das Glück meiner Schwester (Regie, Darstellerin, Drehbuch, Schnitt)

1993 Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben (Regie, Darstellerin, Drehbuch, Schnitt)

1992 Über das Entgegenkommen (Regie)

1992 Prag, März 1992 (Regie)

1991 Schöne gelbe Farbe (Regie)

Festivals & Preise

 Silberner Bär für das beste Drehbuch - Berlinale 2023

Material

Filmplakat

Foto

Plakat

Trailer Vimeo & Youtube, DCP

Interviews

Wie kam es zu der Entscheidung, sich mit Ödipus zu befassen, wie fing das an?

Es gibt Fragen in meinem Leben und damit auch in meinen Filmen, auf die ich keine Antwort habe. Sie betreffen die Familie, Familienverhältnisse und ebenso das Schicksal oder einfach den Zufall, der uns bestimmt und dem wir uns beugen müssen. Im Ödipus Mythos findet sich das alles, auch der Schmerz, der in all dem liegt. Und es gab eine Inszenierung, die ich als sehr junge Schauspielerin gesehen habe.

Ödipus von Sophokles in der Hölderlin-Übertragung, von Jürgen Gosch, nicht wahr?

Ja. Die Schauspieler spielten auf Kothurnen und mit großen Masken. Die Bühne bestand aus einer Treppe, die zu einem Zelt führte, und der Eingang zu diesem Zelt war nur ein Schlitz. Durch diesen Schlitz zwängte sich Ödipus bei jedem Auftritt und am Ende der Szene zwängte er sich wieder zurück. Durch die reduzierten und eingeschränkten Bewegungen, die noch erschwert durch die Kothurne waren, war diese Inszenierung sehr, sehr körperlich. Sodass auch sein Schmerz sehr körperlich wahrnehmbar war. Seine ganze Existenz schien mir schmerzhaft.

Dann gibt es einen Weg von diesem Schmerz zur Musik?

Ja. Ich scheue die Musik, weil sie schnell überwältigt, deswegen zieht sie mich an, wie jeden anderen auch, und deswegen bin ich vorsichtig... jetzt gab es durch den Schmerz einen Grund, eine Notwendigkeit für die Musik. Ich finde den Gedanken, dass es die Möglichkeit gibt, zu überleben, also dass es uns gelingen kann, unser Leben oder Schicksal zu ertragen, sehr, wie soll ich sagen, das ist ein fantastischer Gedanke. Jon entwickelt ein Vermögen, seinem Schicksal zu begegnen, und das ist der Gesang, er singt.

Am radikalsten brechen Sie den klassischen Mythos da, wo Ödipus, bei Ihnen Ion, über seine Herkunft und so über seine Schuld gar nichts erfährt. Er bleibt von diesem Wissen verschont.

Ja. So hat es sich beim Schreiben entwickelt. Auch wenn ich von Sophokles ausgegangen bin, sind beim Schreiben des Drehbuchs Figuren entstanden wie in meinen anderen Filmen auch, keine mythischen Figuren, sondern Menschen. Ich verschone Jon mit dem Ausmaß an Erkenntnis, damit er sich nicht wie Ödipus die Augen ausstechen muss. Er verliert sein Augenlicht über viele Jahre, er lebt nicht wie Ödipus nach Iokastes Tod blind im Wald, sondern mit seiner Tochter unter Menschen. Mich interessiert an dem Mythos nicht das Einzigartige, sondern was die Erzählung für uns heute bedeuten kann, mich interessiert das, was ich mit jedem teilen kann, das Normale, Nachvollziehbare. Alles andere liegt im Unbewussten der Figur und dort entsteht auch Jons Gesang.

Aber Iokaste, im Film Iro, verschonen Sie nicht. Was dann letztlich ihren Tod bedeutet ...

Jon muss nichts verdrängen, weil er nichts weiß, er kennt seine Geschichte nicht. Iro aber schon. Sie hofft, fürchtet, verdrängt und stirbt, als das Maß des Erträglichen für sie überschritten ist.

Lucian, das ist im Mythos die Figur des Laios, was war da für Sie wichtig?

Lucian ist für mich der Inbegriff einer tragischen Figur, weil er keine Chance hat, er ist unschuldig und geht trotzdem zu Grunde. Um nach der Geburt die Mutter seines Kindes zu retten, lässt er das Kind zurück. Er zerbricht an diesem Versagen, was bedeutet, er kennt keine Regeln mehr, an die er sich halten kann, er weiß nicht mehr, wie man sich als Teil der Gesellschaft bewegt, und daran stirbt er schließlich - durch seinen Sohn, was er nicht weiß. Er sieht diesen jungen Mann und fühlt eine Anziehung, er will ihn küssen.

Es scheint mir, dass Ihre Filmsprache in Bezug auf den Mythos auch sehr stark verändert wird. Die Bilder werden insgesamt viel dichter.

Ich glaube, Sie sprechen über das Schweigen. Die Erzählung entwickelt sich durch das Unaus- gesprochene, es entsteht, weil es keine Sprache dafür gibt. Es ging darum, Bilder für Vorgänge zu finden, für die es meiner Meinung nach keine Worte gibt. Wie im Leben. Man tut etwas und man schweigt darüber. Das ist sehr menschlich. Sprache ist der Versuch, das Schweigen zu brechen, aber es ist nur ein Versuch. Unser Leben ist voll von missglückter Verständigung.

In Music arbeiten Sie wieder mit Ellipsen. Die Distanz zwischen den entfernten Orten und den abgelegten Zeiten in ihren Filmen wird so leicht überquert, wie es beim alten Theater war, z.B. bei Shakespeare...

Die Auslassung bedeutet ja nicht, dass etwas nicht passiert ist, es bedeutet nur, dass etwas nicht gesehen wurde. Im Theater stellt das keiner in Frage. Natürlich kann man sagen, der Film ist das, was ich auf der Leinwand gesehen habe. Diese Bilder sind aber nur entstanden, weil man sich für bestimmte Auslassungen entschieden hat. Das weiß eigentlich jeder und wenn man an den Prozess des Schnitts denkt, wird es nochmal überdeutlich. Bei Spielfilmen habe ich oft den Eindruck, es wird etwas gezeigt, damit es auch geglaubt wird. Das ist mir fremd. Für mich liegt in der Auslassung erst die Chance, zu erzählen. Alles entsteht aus der Auslassung, die Orte, an die ich gehen kann, die Zeit, die ich vergehen lassen kann.

Ich möchte zurückkehren zur Musik. Die Songs, die Jon singt, sind von Doug Tielli. Wie haben Sie ihn gefunden?

Das war eine lange Suche. Die Musik, die Jon im zweiten Teil singt, ist ja seine Sprache, aber ich konnte sie nicht schreiben. Ich hatte eine Vorstellung, aber es fiel mir schwer, sie in Worte zu fassen. Ich habe endlos Musik gehört, bis ich auf Doug Tielli gestoßen bin, der in Kanada auf dem Land lebt und den ich dann in Toronto getroffen habe. Er hat mir Songs geschickt, an denen er arbeitet, die damals noch nicht veröffentlicht waren. Ich habe die Entscheidung für die Musik dann nie mehr in Frage gestellt, das war ein Glücksfall für mich, ebenso die Besetzung des Films, Aliocha Schneider und Agathe Bonitzer, Marisha Triantafyllidou und Argyris Xafis, das waren sehr glückliche Begegnungen für mich, bis hin zu den Laiendarstellern in Griechenland. Es gibt so viel Schweigen in dem Film, umso mehr nimmt man die Gesichter wahr, die Körper, Bewegungen, alles entsteht aus diesen Darstellern und der Natur.

[Die Fragen stellte Mikhail Ratgauz]