Aheds Knie (הברך)

Der israelische Filmemacher X. reist in ein abgelegenes Dorf inmitten der Wüste von Arava, um in der dortigen Bibliothek seinen letzten Film vorzustellen. Seine Gedanken sind längst bei einem neuen Projekt, einem Film über die palästinensische Aktivistin Ahed Tamimi, die einige Jahre zuvor vor laufenden Kameras einen Soldaten geohrfeigt hatte. Bei seiner Ankunft in dem Wüstenort wird X. von Yahalom, der jungen stellvertretenden Leiterin der israelischen Bibliotheken, herzlichst empfangen. Vor der Veranstaltung wäre aber noch eine kleine Formalie zu erledigen: X. soll ein neues Formular unterzeichnen, mit dem er bestätigt, über bestimmte Themen nicht zu sprechen. Anstatt zu unterschreiben, beginnt X. einen leidenschaftlichen Kampf für die Meinungsfreiheit in seinem Land. Während seine Auseinandersetzung mit Yahalom immer verbissener wird und sich ein Showdown inmitten der Wüste anbahnt, versucht X. zugleich Kontakt zu seiner Mutter aufzunehmen, die gegen eine tödliche Krebserkrankung ankämpft …

Nadav Lapids erster Film nach SYNONYMES (Goldener Bär der Berlinale 2019) feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb der Filmfestspiele Cannes und wurde dort mit dem Preis der Jury ausgezeichnet.

Spieltermine

Kinostart: 25.02.2022 u.a im Stadtkino Wien (OmdU), Actors Studio Wien (DF), Cinematograph Innsbruck, Moviemento Linz, KIZ Royal Kino Graz

 

Pressespiegel

★★★★★★★★★☆ »Regisseur Nadav Lapid erweist sich abermals als eigenwilliger Filmautor, der mit Nachdruck an einer originären Filmsprache arbeitet – ein Vorhaben, dem aktuell nur mehr wenige Filmemacher nachgehen. » Film+Kritik

„Ein herzzerreißender Abschiedsfilm.“ Le Monde

„Ein herzzerreißendes und intensives Politdrama“ Film.at

„Das Bestehen darauf, seltsam zu sein“ Interview mit RAY Filmmagazin

„Eine unverwechselbare Filmsprache und sensationelle Musikeinlagen.“ The Guardian

„Der bedeutende israelische Regisseur„ Der Standard

★ ★ ★ ★ ★ „Lapids Kino manipuliert den Zuschauer, um ihn in Krisengebiete zu führen, wo er mit dem Zustand der Welt, aber auch mit seiner eigenen Wahrheit, seiner eigenen Ambivalenz konfrontiert wird.“ Transfuge

„Stilistisch eindrucksvoll und voller wütender Energie. Einer der interessantesten Regisseure des aktuellen Autorenkinos.“ programmkino.de

„Es gibt tatsächlich eine kosmische Kraft am Werk, von der AHEDS KNIE die beste Illustration ist.“
La Septième Obsession

„Nervös und intensiv.“ Les Inrockuptibles

★ ★ ★ ★ ★ „Nichts in diesem Film wird dem Zufall überlassen, und doch ist es ein Kamikaze-Kino, das bereit ist, ins Leere zu springen. Oder bereit, es für einen Liebesschrei aufzugeben. Prächtig.“ Culturopoing

„Dieses theoretische und instinktive Werk untersucht die Schwierigkeit, seine Wut in einer verschmutzten Demokratie auszudrücken.“ L’Humanité

„Angespannt, gewunden, fordernd, dieser neueste Film ist ein intensiver Hinweis auf das Unbehagen in der heutigen israelischen Gesellschaft.“ 20 Minutes

„Wenn SYNONYMS ein Heulen war, dann ist AHEDS KNIE der wütende Speichel, der immer noch in Nadav Lapids Mund zurückblieb.“ IndieWire

„Ein agitative Politidrama in der Tradition des frühen Godard. Der israelische Beitrag AHEDS KNIE von Nadav Lapid ist eine messerscharfe Abrechnung mit der Realität politischer Zensur in der Kulturpolitik.“ Frankfurter Rundschau

„Eine gewagte Inszenierung“ Les Fiches du Cinéma

„Nadav Lapid hat etwas von Ingmar Bergman, wie er das Kino als die einzig mögliche Sprache für seine Obsessionen und seine Vision der Welt sieht. […] Im Staub einer western Wüste schreit ein Filmemacher seine Wut, seine Verzweiflung. Er denunziert energisch wie die Künstler zum Schweigen gebracht werden.“ Dernières Nouvelles D’Alsace

Biografie

Geboren 1975 in Tel Aviv, Israel. Der Regisseur und Drehbuchautor studierte Philosophie in Tel Aviv. Nach seinem Militärdienst zog er nach Paris und dann wieder zurück nach Israel, um ein Studium an der Sam Spiegel Film & Television School in Jerusalem aufzunehmen. Sein Kurzfilm Kvish war 2005 bei der Berlinale – Panorama zu sehen. Sein Spielfilmdebüt, Policeman, wurde 2011 in Locarno mit dem Jurypreis ausgezeichnet. 2014 präsentierte er The Kindergarten Teacher in der Semaine de la Critique. 2015 war er mit Warum? bei den Berlinale Shorts zu Gast. In 2019 ist Synonymes mit dem goldenen Bär bei der Berlinale ausgezeichnet. Er ist Träger des französischen Ordens Chevalier des Arts et des Lettres.

 

2004: Protect Gvul [Kurzfilm]
2005: Kvish [Kurzfilm]
2006: Emile’s Girlfriend [mittellanger Film]
2011: Policeman
2014: Ammunition Hill [Kurzfilm]
2014: The Kindergarten Teacher
2015: Warum?
[Kurzfilm]
2016: Aus dem Tagebuch eines Hochzeitsfotografen [mittellanger Film]
2019: Synonymes
2021: The Star [Kurzfilm]
2021: Aheds Knie

Festivals & Preise

Cannes Film Festival 2021, Jury Preis

Viennale’21

Vor Wut schäumend rechnet Nadav Lapid mit der Doppelmoral der israelischen Kulturindustrie ab. Y, der Filmemacher in dieser autofiktionalen Verzweiflungstat, reist in die Wüste Negev, um einen älteren Film zu präsentieren, und wird schnell mit zensorischen Maßnahmen des Kulturministeriums konfrontiert. Zunehmend beschwören Protagonist und Film einen eruptiven Weltekel, der von der Krankheit der Mutter (Lapids Mutter, die langjährige Editorin seiner Filme, verstarb 2018) und den tiefen Narben des Krieges geprägt ist. Freiheit bleibt eine Illusion, die nur dann aufflackert, wenn Musik in der Wüste ertönt. Alles andere ist längst vertrocknet. [Patrick Holzapfel – Viennale Katalog]

Material

Filmplakat

Trailer Originalfassung mit Untertiteln DCP OmdU Flat, DCP OmdU Scope, Youtube Vimeo
Trailer Deutsch DCP DF Flat, DCP DF Scope Youtube Vimeo

Fotos (.tif)
Plakat (.jpg A0 19 MB RGB)

Interviews

Warum haben Sie Ihren Film AHEDS KNIE genannt?

Der Titel bezieht sich auf Ahed Tamini, eine protestierende palästinensische Studentin. Sie lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf im Westjordanland. Sie ist unter israelischer Besatzung geboren worden und aufgewachsen. Als eine Gruppe von Soldat*innen versuchte, ihr Haus zu stürmen, schlug sie einen von ihnen, wurde verhaftet und kam für neun Monate ins Gefängnis. Das geschah 2018, sie war damals 16 Jahre alt.

Ihre Geschichte hat in Israel und in der arabischen Welt für großes Aufsehen gesorgt. Palästinenser*innen sehen in ihr eine Heldin, viele Israelis dagegen halten sie für eine Terroristin. Ein israelisches Knessetmitglied forderte auf Twitter, man solle ihr in die Kniescheibe schießen, um sie zum Krüppel zu machen.

Damit wollte ich den Film eröffnen, mit einem Knie, das in Filmen sonst kaum gezeigt wird. Es ist vielleicht nicht das schönste Körperteil, kombiniert aber Stärke und Zerbrechlichkeit. Mir gefiel auch der Bezug zu Eric Rohmers CLAIRES KNIE. Als ich den Namen von Claire änderte, versetzte ich den Film zugleich in eine neue Zeit – in die von Ahed Tamimi. AHEDS KNIE spielt in einer anderen Welt als die von Claire – in der Welt von heute. Heutzutage wollen sie Aheds Knie überall auf der Welt brechen, also muss man dorthin gehen, wo es nötig ist, um sie zu filmen und zu zeigen.

Obwohl wir sie nicht zu sehen bekommen, spielt die Mutter des Helden eine sehr wichtige Rolle.

Meine Mutter Era Lapid war Filmeditorin. Sie hat alle meine Filme geschnitten, einschließlich meiner Spielfilme, meiner Kurzfilme und meiner mittellangen Filme, mit Ausnahme von AHEDS KNIE. Sie starb an Lungenkrebs, nachdem sie SYNONYMES geschnitten hatte.

In meiner Kindheit hatten meine Mutter und ich eine sehr innige Beziehung. Als ich erwachsen wurde, arbeiteten wir so oft zusammen, dass sich unsere Beziehung zu etwas anderem entwickelte. Sobald sich ein neues Projekt auftat, stellte ich sie ein, um es zu bearbeiten. Es heißt, dass man sich seine Eltern nicht aussucht, aber ich habe es getan.

Ihre Krebserkrankung wurde diagnostiziert, als die Produktion von SYNONYMES gerade begann. Ihr Krebs war bereits in einem fortgeschrittenen Stadium, er konnte nicht mehr behandelt werden, es gab keine Hoffnung mehr. Meine Mutter und ich verbrachten viel Zeit zusammen im Schneideraum und in Krankenhäusern. Nach der Hälfte der Schnittarbeiten reiste ich für ein paar Tage ab, um THE KINDERGARTEN TEACHER in Arava zu präsentieren. Aus der Wüste wollte ich ihr Videobotschaften schicken. Das war im April 2018, meine Mutter verstarb Anfang Juni. Von Mitte Juli bis Anfang August schrieb ich AHEDS KNIE. Für das Schreiben brauchte ich etwa zwei Wochen. Am Drehbuch von SYNONYMES hatte ich über ein Jahr gearbeitet.

Ich nenne die Fakten, weil es für mich die einfachste und vielleicht auch die genaueste Art ist, über die Mutter im Film zu sprechen. AHEDS KNIE existierte irgendwie schon, bevor ich es geschrieben hatte. Es musste einfach erzählt werden. Es fällt mir schwer zu sagen, wofür die Mutter in diesem Film steht. Ich habe das Gefühl, dass sie so ist, wie meine Mutter war – eine Mutter, die der Hauptfigur als ideologische und kreative Partnerin sehr nahe steht. Und die Botschaften von Y. an sie sind vielleicht ihre einzigen Momente der Zärtlichkeit.

Inwieweit ist Arava eine eigenständige Figur?

Wir alle kennen das Klischee des Stadtmenschen, der aufs Land zieht und erfährt, wie heilsam die Natur für die Seele sein kann. Am Anfang hasst die Hauptfigur Y. alles, was sie sieht. Er ist mit allem, was ihn umgibt, nicht einverstanden – mit den Menschen, der Landschaft usw. Und er scheint die meiste Zeit unsensibel zu sein, wenn er über all das spricht. Die einzigen Momente, in denen er betroffen wirkt, sind die, in denen er seiner Mutter mitteilen will, was er erlebt und sieht. In diesen Momenten verhält er sich anders. Er filmt das Wunder, mitten in der Wüste zu sein, mit Sanftheit, freundlich, staunend und neugierig. Sobald er damit aufhört, wird er wieder blind und feindselig. Er erinnert sich an das alte Sprichwort: „Am Ende siegt die Geografie“. Meine Mutter pflegte das zu sagen, da sie meinte, dass Israel keine Zukunft habe. Sie ermutigte meinen Bruder und mich, das Land zu verlassen, obwohl sie selbst nie in Erwägung zog, es zu tun.

Was Ihr Held über Israel zu sagen hat, ist sehr stark und beleidigend – er spricht sogar von Abscheu. Warum diese radikalen Worte?

Wir israelischen Filmemacher*innen haben eine zwiespältige Haltung zu unserem Land, die sich schon in dem oft gehörten Spruch zeigt: „Wir haben eine komplexe Situation zu Hause.“ Mit der Zeit erschien mir dieses Gefühl der Komplexität zunehmend als eine Art Trägheit, als ein künstlerisches, politisches Klischee. Eine Hassliebe verbindet uns mit dem Land. Die Sache ist die: Egal welchen Film man über Israel machen will, das Land wird immer verrückter und extremer sein. Ich wollte mit Worten die radikalen Gefühle gegenüber meinem Land zum Ausdruck bringen. Ich wollte ein schwarzes Quadrat zeichnen wie der Maler Mark Rothko. Diese Flut von Beleidigungen wird ausgesprochen von einem Mann mit einem verletzlichen Gesicht, mit einem maschinengewehrförmigen Mund und in einem Tempo, das die Rede zwangsläufig in einen schrillen Schrei, die Worte in ein Stottern und den vermeintlichen rhetorischen Sieg in einen Zusammenbruch verwandelt (am Ende fällt mein Held buchstäblich auf die Knie). Das alles sorgt für Ambivalenz, aber es ist etwas anderes als das klischeehafte „Die Realität ist immer komplex“ oder „Es gibt immer ein Für und Wider“. Es ist die Ambivalenz einer Welt der Farben, der Texturen und der Klänge, die den Worten und Argumenten gegenübersteht, die Ambivalenz zwischen Existenz und Gedanken oder zwischen einem Drehbuch und einer Kamera.

Für wie notwendig hielten Sie es, die militärische Vergangenheit des Helden zu zeigen?

Die Erzählung darüber ist Teil der Strategie von X. Er nutzt sie zu Beginn als Analogie, um der jungen Beamtin zu erklären, wie gefährlich es sein kann, Teil von etwas zu sein, und er bringt sie damit dazu, offen über das System der Unterdrückung zu sprechen, in dem sie ja auch einen Platz einnimmt. Offensichtlich lässt er sich aber von seinem eigenen Redefluss überwältigen. Die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus, während er immer wieder sagt: „Ich komme gleich zur Sache.“ Jedes Mal, wenn er Dinge im Detail erklärt, erzählt er sehr ausführlich, was in wenigen Worten gesagt werden könnte, weil er tief im Inneren verstanden werden will. Er will erklären, was ihn antreibt, warum er an diesen Punkt gelangt ist.

Als Filmemacher gehe ich in all meinen Filmen auf dieselbe Weise vor – ich lasse mich leiten von dem Gefühl, dass immer ein Puzzlestückchen fehlt, das die Dinge noch klarer machen würde. Es ist für mich unmöglich, nicht nach diesem Detail zu suchen, es nicht auszudrücken, und sobald ich ein Detail gezeigt habe, führt mich dieses zum nächsten. Ich bin besessen von der Idee größtmöglicher Präzision.

Wie würden Sie die Handlung zusammenfassen?

Der Film basiert auf einer einfachen und auch eindimensionalen Erzählung: Ein Mann kommt in einen ihm unbekannten Landstrich und bringt dort alles durcheinander, auch sich selbst. Es ist fast die klassische Western – Erzählung. In AHEDS KNIE geht es um einen Mann, der im Laufe eines Tages über seine eigenen Grenzen hinausgeht. Er hält sich selbst mal für ein Monster oder einen Superman, mal für einen Teufel und dann wieder für einen Propheten. Am Ende des Tages ist er vielleicht nichts davon – sondern nur jemand, der eine persönliche Krise in einer Gesellschaft in einer kollektiven Krise durchlebt.

Es gibt noch eine weitere künstlerische Eigenheit von Ihnen – der spezielle Takt der Stimme und ihre Lautstärke während der verzweifelten Monologe, das, was Sie schrilles Weinen genannt haben. Wie schaffen Sie diese spezielle Metrik?

Als ich den Schauspieler in der Szene dirigierte, in der er in eine verbale Trance verfällt, wollte ich, dass er ein einzigartiges Sprechmuster erreicht. Das war für mich so wichtig, dass ich die Szene im Liegen auf dem Sand drehte – während ich im Hintergrund blieb, drückte ich mit der Hand auf den Fuß und den Schuh des Schauspielers, um ihm zu verstehen zu geben, wann er bestimmte Wörter betonen sollte, natürlich nur als Anregung. Ich wollte, dass sich dieser Beat in den Köpfen der Zuhörer*innen festsetzt. Ich habe das Gefühl, dass der Beat die Bedeutung der Worte untergräbt, dass er sie von einfachen bedeutungsvollen Dingen in alle möglichen anderen Dinge verwandelt, in Klänge vielleicht, in Trommelschläge, in Hammerschläge, in Vibrationen (also auch in Nicht-Worte). Das ist es schließlich, was den ganzen Monolog zu einem Schrei, zu einem Eingeständnis von Verzweiflung und Schwäche (obwohl das Halten einer radikalen, artikulierten Rede eine triumphale Antwort darauf ist) und schließlich zu einem Gebet werden lässt. Es ist ein bisschen wie bei einigen Rap-Songs – die übrigens eine große Inspirationsquelle für meine Filme sind –, bei denen die Worte, fast nackt, ohne Begleitung von Musikinstrumenten, gleichzeitig allmächtig und doch fast unverständlich sind.

Wird der Held während dieser denkwürdigen Szene zu einem Opfer seiner eigenen Intensität?

Auf jeden Fall! Er sagt alles. Er spricht genauso zu Yahalom an seiner Seite wie zu der Wüste selbst. Und natürlich, alles zu sagen wäre unmöglich ohne die Kraft des Atems. Etwas laut auszusprechen bedeutet auch, sich einer Gefahr auszusetzen – tatsächlich ist die Gefahr in diesem Film allgegenwärtig. Während Y. verzweifelt und kurz vor dem Ausbruch steht, verströmt er Gefühle und Empfindungen, die meiner Meinung nach mit Bewegung zu tun haben. Das ist das Synonym für Hoffnung.

In meinen Filmen, egal ob es sich um POLICEMAN, THE KINDERGARTEN TEACHER oder SYNONYMES handelt, taucht die Idee von unglaublich starken Superhelden auf, die paradoxerweise auch unglaublich schwach sind, weil sie nicht in die Gesellschaft passen. AHEDS KNIE biegt diese Idee um. Der Held kann die junge Beamtin nicht abweisen, er kann auch dem Ruf seiner kleinen Schwester – „sei nett“ – nicht einfach folgen. Es ist ihm unmöglich, nicht zu fühlen, wie ihre Hand seine Wange berührt. Vor allem anderen ist Y. ein Mensch, sowohl in seinem Interesse an anderen Menschen als auch in seiner unausstehlichen Haltung, die er an einigen Stellen des Films zeigt.

Das Besondere an AHEDS KNIE ist, dass es keine Trennung zwischen den Geschlechtern gibt. Der Filmemacher könnte eine Frau sein und die junge Beamtin genausogut ein Mann. Geht es bei der Emanzipation von geschlechtsspezifischen Normen darum zu zeigen, dass nur das Menschsein zählt?

Auf jeden Fall. In SYNONYMES und POLICEMAN ging es bei den Körpern der Helden noch um Männlichkeit, bei AHEDS KNIE ist das nicht mehr so – es ist meiner Meinung nach überholt. Heute glaube ich, dass das Einzige, was wirklich zählt, um die Hauptfigur darzustellen, ihre Augen sind. Trotzdem gefällt es mir, den menschlichen Körper in seiner Gesamtheit zu filmen, und in diesem Film wollte ich Körperteile zeigen, die man selten sieht, wie Füße oder Zehen.

Aber anders als in meinen früheren Arbeiten, in denen ich den menschlichen Körper idealisiert habe, filme ich in diesem Projekt den Körper eines gewissermaßen „körperlosen“ Menschen. Er schleppt seinen Körper mit sich, er erträgt ihn mehr, als dass er ihn bewohnt, es ist etwas, das der Leere, dem Nichts nahekommt. Je präsenter er ist, desto abwesender wirkt er.

Ist der Körper der Leere nahe und versucht er trotzdem zu kämpfen?

Das ist er. Der Körper meiner Figur kämpft sehr viel – er kämpft gegen Ideen, gegen Andere, sogar gegen meine Geschichte. In meinen früheren Filmen gab es immer eine Art Zwiespalt zwischen dem Körper und den Worten – wie ein zweiköpfiger Held, ein Held mit zwei Stimmen: Der Körper singt sein Lied und der Verstand behauptet etwas anderes. Bei AHEDS KNIE bleibt der Held, selbst wenn er tanzt, unbeweglich. Seine Tanzroutine ist ebenso auf seine Bewegungen beschränkt wie sein Denken. Das spricht für seinen mangelnden Glauben an die Fähigkeit, etwas zu verbreiten und an andere weiterzugeben. Während es in SYNONYMES um Bewegung, um ständige Mobilität ging, ist es in diesem Film genau umgekehrt. In AHEDS KNIE geht es um Unbeweglichkeit, fast um die Unmöglichkeit, sich zu bewegen. Die einzige Bewegung geht von außen nach innen, von der Haut zu den Eingeweiden.

Sie haben die Körper der anderen Figuren anders fotografiert, auch den von Yahalom. Warum?

Anders als der Held „besitzt“ Yahalom einen Körper. Sie ist eine Beamtin in Dienste des Bösen. Es ist bekannt, dass sich faschistische Regime auf viele Yahaloms stützen, auf freundliche Beamte, die unbeirrt ihre Pflichten erfüllen. Gleichzeitig zeichne ich sie nicht in Schwarz-Weiß: Wenn sie auf der Leinwand zu sehen ist, kann man auch ihre Menschlichkeit spüren. Der Takt eines Satzes, hier ein anmutiges Lächeln, dort die Farbe eines Kleides – die Figur beschwört eine große Ambivalenz herauf, wofür sie steht entspricht nicht unbedingt dem, wer sie ist. Sie ist lebendig, das kann man nicht leugnen. Das ist keine Frage der Meinung, sondern in diesem Moment einfach wahr. Wir alle wollen, dass sie im Bild ist, dass sie alles, was sie umgibt, färbt. Die Figur ihrer kleinen Schwester ist genauso – sie ist eine Art Fee.

Können Sie etwas über die beiden Hauptdarsteller*innen sagen?

Avshalom Pollak ist ein Choreograf. Er stammt aus einer großen Schauspielerfamilie und wurde dank einer Fernsehsendung sehr populär, als er als junger Schauspieler eine in Israel inzwischen fast ikonische Rolle spielte. Dann beschloss er, aufzuhören und sich auf seine Dance Company zu konzentrieren – das tut er seit mittlerweile zwanzig Jahren.

Für mich verkörperte Avshalom perfekt zwei Hauptwerte der Figur Y., sowohl seinem Wesen wie auch seiner Präsenz nach. Zum einen ist er in erster Linie ein Künstler – ich suchte nach einem „wachsamen“ Schauspieler, der sich vorstellen kann, bei einem Film Regie zu führen. Die andere Sache an ihm ist seine beinahe feindselige Ausstrahlung, seine offenbare Widersprüchlichkeit. Man braucht ihn nur nach Arava zu bringen, und schon hat man einen Kontrast. Er ist nicht nur ein Fremder, sondern auch Gegner. Er vermittelt gleichermaßen ein Gefühl von Zugehörigkeit wie von Unnahbarkeit, wie bei einem Familienmitglied, das immer auf Distanz bleibt.

Mit meinem Casting-Direktor habe ich festgestellt, dass es zwar gute israelische Schauspieler in dieser Altersgruppe gibt, aber nur sehr wenige von ihnen Y.s Wahrheit gründlich hätten ausloten können. Es ist kein Zufall, dass wir einen Schauspieler ausgewählt haben, der die Schauspielerei aufgegeben hatte. Für ihn war es eine dramatische Entscheidung, an ein Filmset zurückzukehren, an einen Ort, den er vor mehr als zwanzig Jahren verlassen hatte. Aber als man sich darauf geeinigt hatte, war es ein ganz natürlicher Prozess. Mehr als bei meinen früheren Filmen hatte ich bei Avshalom das Gefühl, dass ich nicht viel erklären muss – er versteht alles. Ihn bei der Darstellung von Y. anzuleiten, war ein bisschen so, als würde Avshalom in seinem eigenen Leben Regie führen. Alles an Y. war für ihn offensichtlich. Er hat die gleichen Nuancen wie Y., die gleichen Gesten, er singt das gleiche Lied. Er brauchte keine Anweisungen.

Auf der anderen Seite ist Nur Fibak eine talentierte, ehrgeizige junge Schauspielerin, die ihr Spielfilmdebüt gibt. Diese umgekehrte Dynamik zwischen den beiden Protagonist*innen entsprach den Figuren des Films schon irgendwie.

Musik spielt in Ihren Filmen eine tragende Rolle. Was bringen Tanz und die poppigen, aufmunternden Songs in diesen Film ein?

In meinen Filmen setze ich immer wieder Musikstücke ein, die Freude, Wut oder sexuelle Spannung vermitteln. Mit ihrer Hilfe habe ich das Gefühl, Monumente zu bauen, ein großes Denkmal in der Mitte eines Platzes! Es ist ein sehr primitives Gefühl, das sich in mir aufbaut und von dem ich mich trotzdem nicht lösen kann. Es macht mich glücklich – ich denke an ein Lied und lächle.

Ich will das Gefühl vermitteln, dass alles möglich ist – die Gerechten sind die Sünder und die Sünder sind die Gerechten, Gut und Böse geraten durcheinander. Um dies zu erreichen, verwende ich populäre, unmittelbare, instinktive Musik. Dass ich mich für populäre Musik entscheide, hat auch damit zu tun, dass meine Filme, und dieser hier mehr als andere, zwar visuell als seltsam oder eigenartig angesehen werden können (obwohl ich der Meinung bin, dass die Eigenartigkeit ein Kunstwerk persönlicher und daher bewegender machen kann), sie aber von jedem Menschen handeln und daher für alle Menschen bestimmt sind. In diesem Sinne dienen populäre Musik und die Lieder, die wir alle kennen, den Menschen als eine geheime, universelle Sprache, die aus Assoziationen und Empfindungen besteht, um zu kommunizieren.

In Ihren Filmen bauen sich die Geschichten auch über visuelle und akustische Details auf. In AHEDS KNIE tragen die verfaulten Paprikaschoten, das hausgemachte Gebäck, die Beschreibungen der lokalen Tierwelt, die in der Wüste lebenden Menschen usw. alle dazu bei, ein praktisch-poetisches Inventar zu erstellen.

Das hat mit der Tatsache zu tun, dass wir in einer „gegoogelten“ Welt leben. Wenn ich „Arava“ nachschlage, erhalte ich eine Liste von Ergebnissen, die jeweils sehr unterschiedliche Aspekte dieser Wüste beschreiben. Diese Details sind Teil und Bestandteil unserer Welt. Wir sehen die Welt durch sie. Was Sie beschreiben, hat auch damit zu tun, wie einfach die Erzählung und die Reise des Helden sind. Er kommt. Er ist da. Es herrscht Alltag. Y. bezieht sich ständig auf konkrete Momente, auf konkrete Dinge des täglichen Lebens.

Wie im richtigen Leben hat man auch in Ihrem Film das Gefühl, nie zu wissen, was als nächstes passiert. Warum ist das so?

Ich versuche, jeden Moment wie einen ersten Akt zu behandeln. Alles ist unangetastet, es gilt noch alles zu entdecken und alles ist endgültig. Oberflächlich betrachtet glaubt der Held anfangs, er sei unantastbar. Er wird mit niemandem sprechen. Er ist völlig autark. Er kommt an diesen Ort mit vorgefassten Meinungen über die Menschen, die dort leben. Nichts scheint ihn umzustimmen, und gleichzeitig braucht er dringend andere. Er ist sich dessen überhaupt nicht bewusst. Er versteht den Gedanken nicht, der sich durch den ganzen Film zieht – „sei freundlich“.

Inwieweit ist AHEDS KNIE ein Film über Freundlichkeit?

Y. zieht in den Krieg, um sein Land davor zu bewahren, hässlich zu werden. Er zieht in den Krieg, um das Leben seiner Mutter zu retten. Er kämpft gegen alle, er kollidiert mit Menschen und der Landschaft, mit Menschen und Sand. Seiner Meinung nach ist er ein Prophet, er hasst und er ist beleidigend, dabei sagt er der Menge die Wahrheit, die sie nicht hören will. Er gehört nirgendwo dazu, er ist immer der Außenseiter, unnahbar. Er ist der Teufel, das Opfer und der Künstler, der alles gleichzeitig beobachtet. Erst die ganz basale Aufforderung, die grundlegendste von allen – „sei nett“ – macht Y. wieder zum Menschen. Aber damit gibt er auch zu, dass er beide Schlachten verloren hat – die gegen den Tod der Demokratie und die gegen den Tod seiner Mutter. Es geht also darum, sich zu rehabilitieren, aber auch um seine Grenzen und seine Niederlage.

Wie haben Sie bei dem Film Regie geführt?

Ich bin sehr stark in den Prozess des Drehbuchschreibens eingebunden. Es bereitet mir große Freude. Ich glaube, dass die Menschen im Himmel unter einem Baum sitzen und Drehbücher schreiben! Für jede Einstellung schreibe ich einen Satz auf, der Gefühle oder einen intellektuellen Gedanken beschreibt. Er ergänzt die technische, kalte Beschreibung der Aufnahme und ersetzt sie manchmal sogar.

Wenn es am Set hektisch wird, helfen mir diese Worte dann, mich an die wichtigste – und am leichtesten zu übersehende – Frage zu erinnern: „Warum“ zeigen wir diesen Moment, diese Bewegung? Ich versuche dann, alle Beteiligten in die Aufnahme einzubeziehen, Schauspieler*innen und Crewmitglieder gleichermaßen. Ich vertraue ihnen wirklich, und ich glaube, wenn der Kameramann die ersten Worte fühlt und versteht, wird sich das auf seine Hand usw. übertragen. Das soll aber gar nichts Mystisches sein, ich bin kein Mystiker.

Ist das rein instinktiv?

Bei AHEDS KNIE geht es wirklich um die instinktive Wahrnehmung der Dinge, die Subjektivität des Augenblicks. Es gab keine andere Möglichkeit, den Film zu drehen, als beinahe fanatisch der Subjektivität des Augenblicks zu folgen – sonst wäre der Film eine Lüge gewesen, und auch ein ganz anderer. Ich entwickle das Drehbuch, ich denke darüber nach, und am Ende, vor jedem Drehtag, nachdem alles schon unzählige Male diskutiert wurde, ändere ich wieder eine Menge Dinge, gerade der Subjektivität des Augenblicks wegen, die das Filmemachen erst zu einem Fest macht. Denn ich möchte, dass der Film ein Fest ist. Er muss schön sein. Ich kann mich nicht damit begnügen, eine glaubwürdige Aussage zu entwickeln, der Film muss lebendig sein. Die ganze Zeit über, vom Anfang bis zum Ende. Ich wünsche mir eine unverblümte und lebendige Schönheit.

Die Aussage des Films ist radikal, sowohl in seiner Aussage als auch visuell. Wie schwierig war es, diesen Film im heutigen Israel zu drehen?

Das Wichtigste an diesem Film war für mich die Dringlichkeit. Ich wusste von Anfang an, dass es schwierig und riskant sein würde, den Film in Israel zu drehen. In einem Klima der Angst und der Zensur hätte die Vorlage eines solchen Drehbuchs bei den Leseausschüssen es sehr kompliziert machen können, den Film zu realisieren. Die französische Produzentin Judith Lou Lévy verstand, dass wir schnell und direkt vorgehen mussten, ohne noch Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Wir hatten uns eine Frist für die Dreharbeiten gesetzt, auch wenn wir bis dahin noch nicht das gesamte Projekt finanzieren konnten. Wir haben den Film in 18 Tagen gedreht, im Dezember 2019, obwohl es die kürzesten Tage des Jahres waren. Jeden Morgen hatte ich das Gefühl, dass ich mich beeilen müsste, um die Szenen zu drehen. Wir hatten keine Zeit, uns umzusehen, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen und über eine andere Option nachzudenken, falls die erste nicht funktionieren sollte.

Regie Notizen

AHEDS KNIE wurde aus dem Gefühl der Dringlichkeit heraus geschrieben – ein Gefühl, das mich dazu drängte, zu schreiben, alles aufzuschreiben, schnell zu schreiben, bis zum Ende. Es war ein Gefühl, das mehr Kontrolle über mich hatte als ich über es.

Der Film basiert auf einer Begebenheit im Juni 2018. Ich bekam einen Anruf von einer Frau, die sich als stellvertretende Direktorin der israelischen Bibliotheken im Kulturministerium vorstellte – sie lud mich ein, meinen Film THE KINDERGARTEN TEACHER in der Bibliothek von Sapir vorzustellen, einem winzigen, abgelegenen Dorf in der Region Arava, am anderen Ende Israels. Dort gibt es eine weite Wüste und viel Sand, Menschen allerdings nur wenige – es ist ein Ort, an dem ich noch nie zuvor gewesen war.

Am Telefon wirkte sie unerwartet jung für ihre Position und sehr freundlich. Während sie versuchte, meine Fragen zu beantworten, erzählte sie mir, wie ihre Leidenschaft für die Literatur – eine Leidenschaft, die sie als junges Mädchen entwickelte, ohne jedes Zutun ihrer Verwandten, die nicht gerne lasen – dazu führte, dass sie die örtliche Bibliothek am Ende der Straße leitete und später eine Stelle im Kulturministerium erhielt. Sie sagte, dass die Bibliotheken in den letzten zwei Jahren zu wichtigen kulturellen Zentren in Dörfern geworden seien, in denen es keine Kinos oder Theater gab. Die gesamte kulturelle und künstlerische Tätigkeit wurde also von den für die Bibliotheken zuständigen Mitarbeiter*innen des Kulturministeriums, in diesem Fall also von ihr selbst, durchgeführt.

Kurz bevor wir auflegten, erwähnte sie noch ein Formular, das ich auszufüllen und zu unterschreiben hätte, damit meine Filmvorführung genehmigt werden konnte. Zusätzlich zu einigen technischen Informationen, die ich in das Formular eintragen sollte, wurde von mir erwartet, aus einer Liste von Themen das Thema meiner Präsentation auszuwählen. Gleichzeitig sollte ich versprechen, dieses Thema mit dem Publikum zu diskutieren, nur dieses und kein anderes.

Das kam mir verdächtig vor. Vor allem, da die freie Meinungsäußerung in Israel heutzutage zusehendes einer düsteren Wintersonne gleicht, die immer dunkler wird und stirbt. Es gibt geradezu eine Kampagne gegen die Meinungsfreiheit – und an der Spitze dieser Kampagne steht zufällig die Kulturministerin selbst.

Ich sagte zur stellvertretenden Direktorin der Bibliothek: „Ich gehe davon aus, dass die Liste der Themen mit den von der Regierung erlaubten Themen übereinstimmt und dass diese Leute Probleme damit haben, die Meinung anderer zu akzeptieren. Und dass sie jeden zum Schweigen bringen, der nicht ihrer Meinung ist“.

Nach kurzem Schweigen sagte sie zu meiner Überraschung: „Ich bin nicht stolz darauf, was ich in diesem Job mache. In den letzten zwei Jahren haben sie versucht, alles zu kontrollieren. Sie können es nicht ertragen, wenn jemand nicht ihrer Meinung ist“. Sie flehte mich sofort an, das Formular trotzdem zu unterschreiben und trotzdem in die Wüste zu kommen, um den Menschen in diesem abgelegenen Dorf meinen Film zu zeigen.

Nachdem wir aufgelegt hatten, rief ich eine Freundin von mir an, die als Reporterin bei der einzigen anspruchsvollen, unabhängigen Zeitung arbeitet, die es in Israel noch gibt. Sie war ebenfalls überrascht über ein so offenes Geständnis einer wichtigen Beamtin und fragte mich, ob ich sie ohne ihr Wissen aufnehmen könne. Ich hielt das für ethisch nicht vertretbar. Ich stellte mir vor, wie verheerend es für die junge Frau, mit der ich gesprochen hatte, sein würde, wenn die Aufnahme an die Öffentlichkeit käme. Noch im besten Fall würde sie aus dem Kulturministerium entlassen und nie mehr als Beamtin arbeiten können.

Ich fuhr also in den Süden nach Arava. Die Wüste um mich herum schien mir grenzenlos und leer. Die wenigen Menschen, denen ich begegnete, waren Israelis, wie ich sie nicht kannte. Ich unterschrieb das fragliche Formular. Als ich nach der Filmvorführung mit dem Publikum zusammentraf, sprach ich mehr oder weniger so wie immer. Vielleicht war ich unbewusst aber auch vorsichtiger geworden.

Einige Monate später stellte der Kulturminister das Gesetz über die Treue zur Kultur vor, welches die Finanzierung von Kunstwerken verbot, die als untreu gegenüber der Regierung angesehen wurden. Dieses Gesetz konnte jederzeit verabschiedet werden. Die relativ demokratischen Verhältnisse, in denen wir leben, scheinen unsicher. Wir erleben das Ende einer bestimmten israelischen Mentalität, in der ich aufgewachsen bin. Es ist das Ende Israels, wie ich es kannte. Vielleicht ist dies das unvermeidliche Schicksal eines Landes im permanenten Kriegszustand, das Schicksal eines Landes, in dem jeder, auch ich, Krieg erlebt, an ihm teilgenommen und Gewalt ausgeübt hat. Ich weiß es nicht. Weder bin ich Historiker noch Soziologe, doch seltsamerweise scheint die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks zum Schlüsselsymbol für diesen Zusammenbruch geworden zu sein.

In meinem Drehbuch geht der Filmregisseur einen Weg, den ich unmöglich hätte gehen können. Er ist bereit, die stellvertretende Direktorin der Bibliotheken zu opfern, um einen sich schnell vorwärts bewegenden faschistischen Panzer zu bremsen. Macht ihn das zum Helden? Oder ist er ein Schurke? Stürzt er eine junge Frau ins Verderben, die doch nur gute Absichten hat und womöglich viel ehrlicher und mutiger ist als er selbst? Oder hat er es mit einer feigen Frau zu tun, die die Drecksarbeit eines Schurkenstaates erledigt? Verwischt in diesen dunklen Tagen nicht die Grenze zwischen Opfern und Tätern, zwischen Starken und Schwachen, zwischen oben und unten? Ja, die Grenzen verschwimmen, wir befinden uns alle auf demselben sinkenden Schiff. Y., der Regisseur, ist hart, rücksichtslos, arrogant, feindselig, wütend. Hat seine Wut einen politischen Sinn oder geht es ihm nur um Grausamkeit? Ist er vielleicht einfach nur furchtbar traurig angesichts des Todes seiner Mutter, den er nicht verhindern kann, und des drohenden Todes seines Landes, das er womöglich doch noch vor dem Untergang bewahrt? Tief in seinem Inneren weiß er, dass er nicht verrückt und edel genug ist, es durchzuziehen.

Die Worte in diesem Film sind eine Textur, eine Melodie. Sie bilden einen Teil dieser Welt, genau wie die Wüste, die Sonne, die Einsamkeit oder das Gefühl der Leere. Sie sind wichtig, nicht nur wegen ihrer Bedeutung, sondern auch, weil sie gesprochen werden. Worte werden dadurch zu einer Musik, die immer lauter und schneller wird, getrieben von Y.s Verzweiflung, seiner Hilfslosigkeit und seiner Traurigkeit. Gleichwohl, am Ende dieses Crescendos steht nicht die Erlösung. Y.s wutentbrannte Manifeste und Reden machen trotzdem Sinn und helfen ihm, nicht zusammenzubrechen.

Nadav Lapid