Sie ist der andere Blick

Sehen kann durch den Blick der Anderen zu einer Begegnung werden. Stumme 16mm-Sequenzen, in denen die junge Künstlerin Iris Dostal Leinwände weiß grundiert, schaffen Projektionsflächen für Narration und Werk einer älteren Generation. Sie ist der andere Blick ist eine Kollaboration mit Künstlerinnen, die in den 1970er-Jahren in der Wiener Kunstszene aktiv sind und sich in der Frauenbewegung engagieren. Treffpunkt für den Dialog mit Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heuermann, Karin Mack und Margot Pilz – alle zwischen 1936 und 1943 geboren – ist das Atelier der Filmemacherin: ein Dazwischen-Sehen, bei dem Gedanken über Selbstbestimmtheit im Werdegang der Künstlerinnen und Widerständigkeit gegen die vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftsstrukturen geteilt werden. Die Kamera lotet als dazwischengeschobene Apparatur feinsinnige Formen aus, die frühere Werke in filmische Bilder transformiert und in Bewegung setzt.

 

Spieltermine

Kinostart: 03.05.2019 u.a. im LE STUDIO Film und Bühne, , Admiral Kino Wien, KIZ Royal Kino Graz, im Stadtkino Wien, Eine Art Matinee, Programmkino Wels, Filmstudio Villach, Volkskino Klagenfurt, Moviemento Linz, LeoKino Innsbruck, Kino im Kesselhaus Krems, Metro Kinokulturhaus Wien +  Ausstellung, Cinematograph Innsbruck, Cinema Paradiso Baden in Kooperation mit Kunstverein Baden, Kaleidoskop Freiluft Kino am Karlsplatz Wien, Das Kino Salzburg, Sommerkino NOE Groß-Enzersdorf, Stadtbücherei Hallein, Spielboden Dornbirn, Klagenfurt Wulfenia Kino, Schule im Kino. Filmmuseum, Steyr City Kino, Breitenseer Lichtspiele

Pressespiegel

„Grundsätzliches“ Esther Buss, Texte zur Kunst

„Ein fulminantes Porträt feministischer Kunstpionierinnen aus Wien. Die Idee, ein dokumentarisches Experiment über fünf visionäre österreichische Künstlerinnen als Kollaboration mit diesen entstehen zu lassen, ist ebenso gut wie selten; denn sie erfordert nicht nur Intelligenz und Respekt, sondern auch ein gewisses Maß an Demut. Die Filmemacherin Christiana Perschon besitzt all dies.“ profil

Sie ist der andere Blick von Christiana Perschon ist kein Film wie jeder andere. Er ist Dokument, künstlerische Annäherung, ein mit filmischen Mitteln geführter Dialog mit kunstschaffenden Frauen einer anderen Generation. Ein sehenswerter, nicht zuletzt genauso politischer wie poetischer Film.“ Falter

„Der „magische Materialismus“ findet sich in einem bemerkenswerten Film von Christiana Perschon, der mit einer Handvoll Künstlerinnen der feministischen Wiener Avantgarde der späten 60er auf fast experimentelle Art die Dialektik zwischen Material, patriarchalen Kreativitätshindernissen und widerständiger Kunstarbeit verhandelt. Dabei schafft Sie ist der andere Blick mit einer intelligenten Mischung aus Konzept und improvisierender Spontaneität, die Verletzungen von Frauenleben ohne direkte biografische Eröffnungen zu zeigen – und das Kunstmachen ohne die üblichen scheinprivaten Ateliereinblicke. Ein Film, dem man gemeinsam mit seiner jungen klugen Regisseurin noch einen weiten erfolgreichen Weg wünscht.“ Der Tagesspiegel

„Kunst der Vermittlung: Damit ist bereits eine der großen Qualitäten von Sie ist der andere Blick benannt: Als Porträtfilm begnügt er sich nicht damit, seine Protagonistinnen in Wort und Bild festzuhalten. Er begreift die Vermittlung von Kunst selbst als ästhetische Herausforderung. Perschon porträtiert mit ihrem Film Vorbilder, die zu einem eigenständigen, ja feministischen Ausdruck gefunden haben. Das schönste Kompliment macht sie ihnen damit, dass sie ihrer Maxime des Eigensinns folgt.“ Der Standard

„Sie sind um das Jahr 1940 geboren und machen Kunst: für ihren Film Sie ist der andere Blick hat Christiana Perschon fünf Künstlerinnen erzählen lassen, wie sie trotz massiver Widerstände und Verhinderungsmaßnahmen als Frauen arbeiten konnten.“ radio fm4 homebase

Sie ist der andere Blick zeigt Positionen feministischer Kunst mit allem Respekt und mit aller Feinfühligkeit, die den fünf Pionierinnen gebührt.“ Ö1 Kulturjournal

„Mit einer außergewöhnlichen Bildsprache, die den Kunstwerken ebenso viel Raum gibt wie den Künstlerinnen und diesen Raum immer wieder mit einer gekonnten Gesprächsstille unterbricht, die einem sowohl Zeit gibt, das Gesagte zu verarbeiten, als auch die Filmbilder und leisen Töne auf sich wirken zu lassen, gestaltet Christiana Perschon in ihrem Atelier ein faszinierendes Kaleidoskop an Geschichten, Bildern, Aussagen, Interpretationen und Betrachtungen.“ ray Filmmagazin

„Weil Perschon ihre Kamera als Mittel begreift, gestalterische Möglichkeiten auszuloten, die Werke ihrer Protagonistinnen in filmische Bilder zu überführen, kreiert sie so mit den Künstlerinnen gemeinsam einen konstellativen, audiovisuellen Denkraum über Strategien der Aneignung. Sie ist der andere Blick durchdringt auf diese Weise sein Sujet, schafft exakt jene Resonanz und jenes Bewusstsein, das zur Sichtbarmachung notwendig ist. » Die Furche

„Die junge Filmemacherin steht den porträtierten Künstlerinnen in der Aussagekraft ihrer Bildkompositionen um nichts nach. Wenn die Künstlerinnen ihre Arbeit erörtern oder während Perschon sie filmt, wird Kunst innerhalb von Kunst geschaffen.“ Salzburger Nachrichten

„Ein filmisches Kunstwerk über fünf außergewöhnliche Künstlerinnen“ Kek in Wien
„Ein wunderbarer, ermutigender, poetischer Film“ Artemisia Blog
„Unaufdringlich und in kontrastreichem Schwarz-weiß ereignet sich ein kleines Filmwunder mit hoch-ästhetischen, langsamen, minimalistischen Bildern abseits großer Inszenierungen.“ Volksstimme
„Christiana Perschon porträtiert in Sie ist der andere Blick, formal außerst einfallsreich, fünf Pionierinnen feministischer Kunst in Österreich.“ profil
„Digital, 16 mm, Super 8“ Augustin
„Selbstermächtigung zum Selbstporträt“ Falter

Biografie

Christiana Perschon lebt und arbeitet als Filmemacherin in Wien. Diplom an der Akademie der bildenden Künste Wien (Kunst und digitale Medien / Film). Sie arbeitete als Redakteurin beim ORF, im Rahmen des Projektes MenschenLeben der Österreichischen Mediathek, am Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft und als Kuratorin u.a. im Österreichischen Filmmuseum (2018 In Person: Barbara Hammer). Sie ist Mitglied der Golden Pixel Cooperative. 2019 erhielt sie für ihren ersten Langfilm den Diagonale Preis für beste Bildgestaltung, 2018 den Theodor Körner Preis für Bildende Kunst. 2014 wurde ihr Kurzfilm Noema beim Vienna Shorts Festival dreifach preisgekrönt: Bester Österreichischer Kurzfilm, Preis der Jugend Jury und Publikumspreis. Ihre Filme sind auf internationalen Filmfestivals und in Institutionen zu sehen wie Visions du Réel (CH), Kurzfilmtage Oberhausen (DE), Edinburgh International Film Festival (UK), Cork Film Festival (IRL), Jihlava IDFF (CZ), Viennale (AT), Mumok Kino Wien, Blickle Kino Belvedere 21.
www.christiana.perschon.at

Festivals & Preise

beste Bildgestaltung Dokumentarfilm, Diagonale
Begründung der Jury (Philipp Jedicke, Jurij Meden, Seraina Rohrer): „Christiana Perschon nähert sich den Künstlerinnen und deren Werken mit bis ins letzte Detail durchkomponierten Bildern. Mit ihrer Kamera lenkt sie unseren Blick auf die Essenz der Werke und macht diese erlebbar. Ihr gelingt es, sehr unterschiedliche künstlerische Ausdrucksweisen in einem eigenen künstlerischen Ausdruck zu vereinen und schafft dadurch ein Kunstwerk mit großer Strahlkraft.“


Viennale’18, #female tracks Wels, FrauenFilmtage, DOK.fest München, New Horizons Film Festival Wroclaw, Zuecca Projects, Cinema Giorgione, Venice Art Biennale, East Silver Market Jhilava IDFF, Leeds IFF, Duisburger Filmwoche, Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest, Porto/Post/Doc

Material

Filmplakat

Trailer Vimeo, Youtube, DCP Trailer (1,65Go)
Bilder (jpg)

Ausstellung

Im Rahmen der Ausstellung und anlässlich des Kinostarts von Sie ist der andere Blick setzt die Filmemacherin und Künstlerin Christiana Perschon die Zusammenarbeit mit den im Film porträtierten Künstlerinnen fort. Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heuermann, Karin Mack und Margot Pilz – alle zwischen 1936 und 1943 geboren und in der Frauenbewegung aktiv – prägen die Wiener Kunstszene seit den 1970er-Jahren. Die Ausstellung folgt dem Montageprinzip des Films. Sie überträgt den generationsübergreifenden filmischen Dialog in den Ausstellungsraum, wo die Kunstwerke – im Film durch Licht und Bewegung inszeniert und reanimiert – im Original gezeigt werden. So entsteht ein Austausch über Werke, Materialien, Blicke und Gesten, der den Zeitgeist der zweiten Frauenbewegung und die Energie des Widerstands greifbar werden lässt. In einer malerischen Geste grundiert die Künstlerin Iris Dostal Leinwände im Prolog des Films, die eine Projektionsfläche für Werke und Narrationen einer älteren Künstlerinnengeneration schaffen. Diese Geste setzt sich in der Ausstellung in Form ihrer Arbeit o.T. aus der Serie Praxis ohne Namen (2008/2014/2019) fort. Die (mediale) Selbstbefreiung von tradierten weiblichen Rollenbildern und den vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zeigt sich in den Schwarz-weiß-Fotoserien von Karin Mack Zerstörung einer Illusion (1977) und  Margot Pilz Trotz_dem (1983 aus dem Projekt weiße Zelle). Renate Bertlmann lotet in ihrer Diasequenz Zärtliche Berührungen (1976) die Ambivalenzen der Geschlechter mit Selbstauslöser aus: zwei aufgeblasene Präservative, die einander liebkosen und schließlich penetrieren. Mit Bambusfeder, chinesischer Tusche und Pinsel zeichnet Lore Heuermann auf Reispapierrollen o.T. (1980–1990) Bewegungen eines geschlechtslosen, tanzenden Körpers, der zu einer menschlichen Körperkalligrafie abstrahiert wird. In ihrer Filmarbeit Aline Carola (1990) inszeniert Linda Christanell Tanzschuhe aus den 1920er-Jahren: ein kinematographisches Spiel, ein Tanz zwischen Erotik und Erinnerung. Zwei Handkameras, zwei Rollen Doppel-8-Film, vier Kader: In Double 8 (2016) von Christiana Perschon mit Linda Christanell wird das Bedürfnis nach Austausch mit der Geschichte des Films und seinen Macherinnen als ein gleichzeitiges Blicken und Angeblickt-Werden spürbar. Neben den ausgestellten Werken vermittelt die Audio-Installation Entrevue (2019) von Christiana Perschon Zusammenhänge von Kunstpraxis, politischem Aktivismus und Privatleben im Werdegang der Künstlerinnen.
Ausstellungsmappe (pdf)

Text

REGIE NOTIZEN

Sehen kann durch den Blick der Anderen zu einer Begegnung werden. Stumme Sequenzen, mit einer 16mm-Bolex-Kamera gedreht, sensibilisieren zu Beginn des Films für das, was zwischen Künstlerin und Bildträger stattfindet. Die von der Künstlerin Iris Dostal weiß grundierten Malerleinwände schaffen Projektionsflächen für die Narration im Prolog, der den Bogen zwischen der gegenwärtigen Künstlerinnengeneration und deren Wegbereiterinnen spannt. Der Film geht von dem Moment aus, in dem Beobachtung, Erfahrung und Vorstellungskraft auf einen Bildträger treffen: Sei es eine grundierte Leinwand oder die lichtempfindliche Emulsion von analogem Film.
Sie ist der andere Blick ist eine Kollaboration mit Künstlerinnen einer älteren Generation, die in den 1970er-Jahren Teil der Wiener Kunstszene sind und sich in der Frauenbewegung engagieren. Treffpunkt für den Dialog mit den Künstlerinnen – Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heuermann, Karin Mack und Margot Pilz – ist mein Atelier: ein Dazwischen-Sehen, bei dem Gedanken über Selbstbestimmtheit und Selbstverständnis im Werdegang der Künstlerinnen geteilt und ihre künstlerischen Arbeiten durch den Kamerablick in Bewegung versetzt werden. Die Protagonistinnen, die in ihrer Vorreiterinnenrolle die zeitgenössische Kunst und das Selbstverständnis von Künstlerinnen in der Gegenwart prägen, erzählen über künstlerische Ambitionen, wirtschaftliche Zwänge, Angepasstheit und Widerständigkeit gegen die vorherrschenden patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Mit ihren Stimmen und (frühen) Werken werden die Künstlerinnen selbst zu Bildträgerinnen einer feministisch-künstlerischen Haltung.
Es ist immer Gegenwart. Jede Begegnung mit einem Bild, jede Interaktion mit einem Menschen ist eine Augenblickserfahrung und sucht nach einer eigenen Form. Die Filmstruktur entwickelt sich aus der Begegnung mit den Künstlerinnen und ihren in den 1970er-Jahren entstandenen Werken: ein Aufeinandertreffen verschiedener Medien, Bildsprachen und Blickwinkel. In meiner Kamera- und Montagearbeit geht es immer um Dialog, das Dazwischen und die Rolle der Kamera als Akteurin im Moment der Aufnahme.
Wie sehe ich mehr als ich weiß? Die Idee der Aneignung in Form des Dialogs: sich etwas zu eigen machen, durchzieht meinen gesamten Arbeitsprozess. Der Austausch über Werke, Material, Blicke und Gesten basiert auf Empathie und ist eine feministische Strategie, um den Zeitgeist der Frauenbewegung und die Energie des Widerstands aus der Sicht der Künstlerinnen zu begreifen. Die Kamera dient als Blickwerkzeug und erzeugt eine Art Zwischen-Sicht auf die Künstlerinnen und ihr Schaffen, um das eigene Sehen und Denken in Bewegung zu setzen. Vergangenheit aktualisiert sich in der Gegenwart und Blicke werden entlang der Bildoberfläche zu Berührungspunkten. Die Kamera erzeugt damit nicht nur eine Blickrichtung, sondern ermöglicht ein gegenseitiges Wahrnehmen, ein Sehen und Gesehenwerden. Der Film schafft ein performatives Archiv durch die Interaktion mit den Künstlerinnen – als Treffpunkt für Neuschreibungen und Umverteilung von Aufmerksamkeit. Drehort für diese einmaligen Zusammenkünfte ist das Atelier der Filmemacherin – ein Raum für Begegnungen im Blick der Anderen. Das Dialogische des Films manifestiert sich auf der Tonspur durch Gespräche mit den Künstlerinnen. Was eine Frau ausmacht, und somit auch eine Künstlerin, ist sozial, gesellschaftlich und diskursiv konstruiert. Die Gespräche geben Einblick in den Zeitgeist der Nachkriegszeit, die Rolle der Frau in der Gesellschaft, die Platzverweise als Hausfrau, Ehefrau und Mutter, das Studieren ohne weibliche Vorbilder, die Aufbruchsstimmung und (mediale) Selbstbefreiung in den 1970er-Jahren, den Ausbruch aus einer kunsthistorisch tradierten Festschreibung von Weiblichkeit. Die Montage schafft Verbindungen und Echos zwischen den Protagonistinnen und ihren Werken durch ineinandergreifende künstlerische, persönliche und gesellschaftspolitische Sichtweisen.
Zusammenhänge von Kunstpraxis, politischem Aktivismus und Privatleben zeigen sich entlang der mehrstimmigen Tonspur zu Beginn des Films und in den darauf folgenden fünf Szenenbildern. Frühe Werke – eine Fotoserie, Installation, Performance, Zeichnungen, objets trouvés – werden transformiert. Im Moment der filmischen Aneignung ändern die Kunstwerke als Dokumente der Zeit ihre Gestalt – durch Tageslicht, Kameraeinstellung, Rekonstruktion und Animation – und thematisieren die Bedingungen des Sichtbaren und des Sichtbarmachens. Was gibt ein Objekt frei? Was kann meine Kamera- und Montagearbeit transformieren? Wie versetze ich Kunstwerke in Bewegung? Wo dringt Licht ein? Das Nachleben der Werke berührt den Bereich der Übersetzung und Übertragung. Bildmaterial und Bildträger werden durch künstlerische Strategien der Aneignung filmisch re-/animiert und de-/konstruiert: ein Eintauchen in die Materialität und individuelle Beschaffenheit, ein Manipulieren ihrer Wahrnehmbarkeit. Dabei werden Arbeitstechniken der feministischen Kunstproduktion der 1970er-Jahre wie serielle S/W-Fotografie, Selbstauslöser, Dunkelkammer, Super8-Film und kinematografische Objekte wie die Leinwand und Blackbox zu tragenden Motiven meiner Bildsprache.

GRUNDSÄTZLICHES
Text von Esther Buss Texte zur Kunst

Für einen Film, der schon im Titel eine blickökonomische Setzung vornimmt, wirkt Sie ist der andere Blick zunächst einmal programmatisch unterbeschäftigt, was die Produktion von anderen Blicken und Bildern betrifft. Christiana Perschons Dokumentation über und mit Renate Bertlmann, Karin Mack, Linda Christanell, Margot Pilz und Lore Heuermann beginnt im Gegenteil als kurzes sound piece. Zu Schwarzbild rattert, raschelt und klappert es, erst dann folgen stumme 16-mm-Aufnahmen eines Atelierraums in grobkörnigem Schwarz-Weiß. Während die Kamera nahezu 20 Minuten lang einer Künstlerin beim Grundieren von Leinwänden folgt, erzählen die Protagonistinnen – sie alle haben Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre zu arbeiten begonnen und sind Teil der feministischen Wiener Avantgarde – aus dem Off über ihre Erfahrungen und Lebenssituationen als Künstlerinnen, Studentinnen, Ehefrauen und Mütter: von Professoren, die sie in der Dunkelkammer betatschten, in ihre Zeichnungen hineinkritzelten oder ein Gutachten für ein Auslandsstipendium mit der Begründung verweigerten, man käme doch eh mit einem Kind zurück; von einer Kultur der permanenten Bevormundung und – auch gesetzlicher – Diskriminierung, von strukturellen Ausschlüssen, etwa im Hinblick auf Förderungen, Ankäufen und Ausstellungsmöglichkeiten, wie auch von der reflexhaften Bezugnahme auf die beiden Ausnahmekünstlerinnen Valie Export und Maria Lassnig, deren Präsenz im Kunstbetrieb ein beliebtes Argument war gegen die fehlende Repräsentation von Frauen („Die Export ziehen sie immer aus der Tasche … und die Lassnig“). Und zuletzt: von den Einflüssen der Frauenbewegung und den daraus folgenden künstlerischen Initiativen wie auch „privaten“ Aus- und Aufbrüchen. Dass die verschiedenen Sprecherinnenpositionen zumindest beim erstmaligen Schauen kaum zuzuordnen sind (der Film verzichtet konsequent auf Einblendungen von Namen, Titeln, Jahreszahlen und Ähnlichem) und sich stattdessen zu einer mehrstimmigen Oral History fügen, gehört zu Perschons Konzept ebenso wie das Wechselverhältnis von Off-Stimme, stummem Bild und „Produktionsklängen“ (Kamerageräusche, Pinseltöne, Objektgeklapper etc.). Sie ist der andere Blick ist bei aller Würdigung subjektiver Erfahrungen und künstlerischer Handschriften vor allem auch eine kollektive Erzählung. Vom traditionellen Künstler*innenporträt, von seinem staatstragenden Historisierungspathos und der Fixierung auf Individualismus und Ikonizität könnte Perschon also kaum weiter entfernt sein. An die Stelle des hagiografischen Tonfalls, der etwa so unterschiedliche Filme wie Gerhard Richter – Painting (Corinna Belz, 2011), Beuys (Andres Veiel, 2017), Over Your Cities Grass Will Grow (Sophie Fiennes, 2010) oder auch Kippenberger – Der Film (Jörg Kobel, 2005) eint, rücken Dialog und eine zwar konzentrierte, aber doch gänzlich unaufgeregte Aufmerksamkeit für die künstlerische Praxis der Frauen. Perschon ist Filmemacherin und Kuratorin, im letzten Jahr organisierte sie eine Retrospektive zum Werk von Barbara Hammer im Filmmuseum Wien. Mit den Arbeiten von Linda Christanell und Karin Mack beschäftigte sie sich bereits in kürzeren und eher experimentell angelegten Filmarbeiten, Sie ist der andere Blick ist also so etwas wie Perschons Dokumentarfilmdebüt. Ausgangspunkt ist eine offene Gesprächs- und Arbeitssituation. Sie hat die Künstlerinnen, darunter auch Iris Dostal, die die Leinwände bearbeitet, in ihr Atelier eingeladen, um dort etwas zu „machen“. Das Atelier, üblicherweise ein Ort von Rückzug und stillem Vor-sich- hin-Arbeiten oder im Gegenteil: ein Schauraum für Kurator*innen, Sammler*innen, Galerist*innen, öffnet sich auf diese Weise für ein ergebnisoffenes kollaboratives Setting. Die grundierten weißen Leinwände – die Kamera folgt meist den zügigen Bewegungen von Hand und Pinsel und nimmt dabei die Leinwand bildfüllend in den Blick – wirken wie ein Korrektiv zu den Erfahrungen patriarchaler Einschreibungen. Und sie etablieren eine symbolische „leere“ Bühne für die Präsentation und die Inszenierung der eigenen Arbeiten.

Der Film schließt zwar Lücken in der Geschichtsschreibung, beansprucht aber alles andere als eine lineare oder gar in sich geschlossene Erzählung. Die Erwähnung wichtiger historischer Markierungen, wie etwa die 1985 von Valie Export und Silvia Eiblmayr organisierte Ausstellung „Kunst mit Eigensinn“ im museum moderner Kunst in Wien, ist eher die Ausnahme. Vielmehr betont er die – auch ästhetischen – Brüche. Aspekte von Porträtfilm, Werkvortrag und Performance werden ebenso vermischt wie Analog- und Digitalbild, Schwarz-Weiß und Farbe. Die flackernden Anfangsbilder rufen den Look von historischem Archivmaterial auf; mit ihren verschneiten Texturen, Unschärfen und sichtbaren Klebestellen erinnern sie an die Filmgrammatik des Experimentalkinos. Der zweite Teil ist dagegen digital und in Farbe gedreht, er ist ganz der Gegenwart, dem Augenblick, verpflichtet. Jede der fünf Künstlerinnen gestaltet im Dialog mit der Filmemacherin – Kommentare, Vorschläge und Anweisungen, etwa hinsichtlich des Bildausschnitts etc. sind wiederholt zu hören – eine Art set piece. Methoden der feministischen Kunstproduktion der 1970er Jahre, wie serielle Schwarz-Weiß-Fotografie, Selbstauslöser und Super-8-Film, werden dabei filmsprachlich aufgenommen. Renate Bertlmann, der erst in den letzten Jahren größere Aufmerksamkeit zuteilwurde – sie bespielt in diesem Jahr den österreichischen Pavillon der 58. Biennale von Venedig –, stellt an einem Arbeitstisch sitzend ihre Fotoserie Zärtliche Berührungen (1976/2009) vor: farbige, zu brustförmigen Gebilden aufgeblasene Kondome, die in verschiedenen Konfigurationen zueinander angeordnet sind. Später spannt sie eine Schnur quer durch den Raum und hängt ihre aus Schnullern gegossenen Latexschürzen wie an einer Wäscheleine auf. Als sie ein Fenster öffnet und aus dem Bild tritt, beginnen sie im Wind zu schaukeln und zu tanzen. Die Objekte werden nun ganz der Interaktion mit dem filmischen Medium überlassen: In verschiedenen Close-ups verwandeln sie sich zu beweglichen, seltsam organisch anmutenden Abstraktionen. Perschons Aufmerksamkeit gilt in diesen „rein“ kinematografischen Momenten vor allem den Oberflächen und Texturen – und dem Sound: einem eigentümlich flauschig klingenden Klackern und Rascheln. Karin Macks 1977 mit Selbstauslöser entstandene Fotoserie Zerstörung einer Illusion, in der das Abbild der Künstlerin mit Haarnadeln, Nägeln und Bratenspießen durchbohrt wird, zeigt sich in ein dreidimensionales rotierendes Objekt transformiert. Lore Heuermann bewegt sich erzählend durch ihre dicht gehängten kalligrafisch anmutenden Papierbahnen; im Wechsel der Einstellungen verschiebt sich das Verhältnis von Körper und Raum. Margot Pilz reaktiviert ihr The White Cell Project (1983–85), eine Box, deren Seitenlängen ihrer Körpergröße entsprechen (ursprünglich ließ sie sich an den eigenen Körper adjustieren). Aus der Vogelperspektive gefilmt, entwickelt sich ihre Performance zu einem Spiel mit Proportionen, perspektivischen Verschiebungen und Raumillusionen. Und Linda Christanell arrangiert gefundene Objekte wie Hutnadeln, Postkarten, Spiegel oder aufziehbare Trash-Spielzeuge im bildfüllenden Format zu Szenen und erzählerischen Vignetten. Mit jeder Künstlerin nimmt der Film eine andere Form an, wobei die Verbindungen auch hier offen und „solidarisch“ bleiben – weder Perschon, noch den beteiligten Künstlerinnen geht es um die Konsolidierung der eigenen Signatur. Sie ist der andere Blick ist auch in diesem Sinn ein Modell für ein „alternatives“ Porträt: Der Platz im Atelier wird wie ein Staffelstab weitergegeben.
Esther Buss ist freischaffende Film- und Kunstkritikerin und lebt in Berlin.

NOCH TEE FÜR DICH
Text von Claudia Slanar

“Dem jetzt laufenden Prozeß der ausschließlichen Rentabilität, im patriarchalen System entstanden, wollen wir eine Entwicklung hin zu einem menschenwürdigen Leben entgegenstellen.” So präzise wie erschreckend aktuell formuliert 1978 die Künstlerinnengruppe IntAkt in ihrem “Femifest”. Karin Mack, eine der Protagonistinnen von Sie ist der andere Blick zitiert daraus in der Mitte des Films, während Regisseurin Christiana Perschon auf der Bildebene von einem fotografischen Selbstporträt der Künstlerin, in dem sie den Blick an die Betrachter_innen durch einen Operngucker zurück gibt, zu ihrem Schattenwurf auf weißer Wand wechselt, und schließlich zu einem unscharfen blau-grauen Bild. Langsam wird der Hintergrund dieses Bildes herausgearbeitet: Eine Ziegelmauer und grüne Bäume, gerahmt durch das immer noch verschwommene Fensterkreuz, von der Intimität des Arbeitsraumes, hinaus in die Welt …

Opazität, Unschärfe, Leere; in Perschons Porträt der Künstlerinnen einer Generation um die 80 Jahre alt geht es um viel mehr als um die Annäherung an diese und deren Lebensentwürfe, nämlich um die Frage nach der Repräsentation. Denn was ist dieser “andere Blick” – und ganz bewusst geht Perschon über den “weiblichen Blick” hinaus – der eben nicht männlich und hetero-normativ ist? Und wie könnte eine “andere” Art Filme zu machen, entgegen darstellerischer Konventionen und filmischer Codes aufzunehmen und abzubilden, aussehen?

Die US-amerikanische Regisseurin Jill Soloway bezeichnet den weiblichen Blick, also den “female gaze” in Anlehnung an die Theoretikerin Laura Mulvey, die in den 1970er Jahren den “male gaze” definiert, unter anderem als “way of feeling seeing”, also ”fühlend zu sehen” oder auch “fühlend sehend” zu sein. Diesem Vorschlag folgt Perschon auf mehreren Ebenen: Durch die engen Kollaborationen, die sie mit den Künstlerinnen eingeht; durch ihre Bildgestaltung, durch die Wechsel zwischen Farbe und Schwarzweiß, sowie analoger und digitaler Kamera, die ganz präzise gesetzt sind, wie auch durch ihren Umgang mit Ton. So beginnt Sie ist der andere Blick mit Geräuschen: der Auslöser, das Surren und das Aufziehen einer Bolex-Kamera, ein Pinsel, der über die Leinwand streicht. Die Töne sind da, bevor sich aus einem verschwommenen Grau-Weiß das erste Bild “löst” und eine Stimme anhebt, um zu erzählen. Die fünf Protagonistinnen sind vorerst nur als Stimmen präsent, während eine Frau zu sehen ist, die Leinwände weiß grundiert. Mit dieser Einführung der Künstlerinnen ohne Identifikationshilfe sucht Perschon nach anderen Möglichkeiten der biografischen Erzählung als dem konventionellen Muster der auf Singularität basierenden Künstlerviten.

Während also Lore Heuermann, Karin Mack, Renate Bertlmann, Margot Pilz und Linda Christanell von Diskriminierung, Selbstfindung und Selbstermächtigung berichten, streicht die Malerin Iris Dostal als Vertreterin einer jüngeren Generation – auch der Perschons – Bildträger mit unglaublicher Vehemenz, Regelmäßigkeit und Ruhe. Sie fungiert als Bindeglied, sie bereitet die Projektionsflächen für die kommenden Erzählungen vor. Doch diese müssen erst einmal übermalt werden, “entleert” sein, um wieder neu beschrieben werden zu können. Die darin ebenfalls enthaltene Auslöschung, oft auch das Vergessen des Gewesenen scheinen bezeichnend für den Feminismus, und die Versuche, die “Geschichtsbedeutung der Frau” (Femifest) in der nächsten Generation zu re-konstruieren, an die “mothers of invention” anzuschließen. Dieses seltsame “Vergessen” von feministischen Errungenschaften kann durchaus als Widerständigkeit des Feminismus gegenüber seiner Institutionalisierung erklärt werden. Vielleicht müssen aber auch die “anderen” Bilder, Töne, Reden durch die und mit denen erzählt werden kann, erst gefunden werden? Perschon versucht dies, in dem sie in den Kollaborationen ihre eigene Handschrift nicht verleugnet, sich auch selbst ins Bild bringt, und vor allem “ihren” Ort, ihr Atelier im Wiener WUK, für die Begegnungen mit den Frauen zur Verfügung stellt. Diese sind nun so unterschiedlich wie die künstlerischen Arbeiten selbst: spielerisch, zärtlich, bewundernd, durchaus auch distanziert.

“Du siehst nur das, was Du weißt,” meint Lore Heuermann und Christiana Perschon formuliert dies um zur Frage: ”Wie sehe ich mehr als ich weiß?” Sie antwortet darauf mit einem berührenden Schauen, einem einfühlenden Blick, der sich seiner Gegenwart und jener der Kamera bewusst ist. Um dieses Berühren geht es immer wieder auf motivischer wie sprachlicher Ebene: Materialien sind haptisch und audiovisuell erfahrbar. So streicht der Wind über Renate Bertlmanns Latexarbeiten auf der Wäscheleine und bringt sie zum Flattern. Linda Christanells Hände spielen mit Gegenständen, formen sie zu Aussagen. Der Ausruf und Aufruf Lore Heuermanns am Ende, dass es uns nicht mitgegeben sei, uns unterzuordnen, berührt wiederum auf emotionale Art und Weise. Während des Films wird der Regisseurin wiederholt Tee angeboten; eine Geste, eine “Berührung”, in der sich schließlich das radikal “Andere” einer Einladung zum gemeinsamen Gespräch, zur Kollaboration formiert, die sich dann im Dazwischen und in der Differenz ausdrücken kann.

Wenn feministisches Arbeiten bedeutet, im Kollektiv oder kollaborativ zu arbeiten, die Gesamtheit einer Erzählung, den “master narrative”, zu durchbrechen, das Fragmentarische und Unscharfe als erzählerische Kraft beizubehalten und nicht nach Auflösung zu suchen; nach einer anderen biografischen Erzählung als der der Künstlervita zu suchen, dann ist Christiana Perschons Film zutiefst und radikal feministisch.