Right Now Wrong Then (지금은맞고그때는틀리다)

Der Regisseur Ham Chunsu wird zur Vorführung seines neusten Films auf einem Festival nach Suwon eingeladen. Aufgrund eines Fehlers kommt er jedoch einen Tag zu früh an und muss die Zeit totschlagen. Dabei begegnet er der Künstlerin Yoon Heejung, verbringt spontan den Tag mit ihr, trinkt Soju, isst Sushi und geht am Abend mit ihr feiern. Als der Alkohol zunehmend seine Zunge löst, rutscht ihm heraus, dass er verheiratet ist und zwei Kinder hat. Dann jedoch geht der Tag unbemerkt von vorne los und offenbart, wie unbewusste, kleine Entscheidungen einen großen Unterschied machen können.

Spieltermine

Hong Sangsoo Retrospektive im Filmmuseum 02.11.2022-09.01.2023

Pressespiegel

“Kim Min-hee’s exquisitely nuanced performance is at the center of Right Now, Wrong Then. The differences in the two halves of the movie reveal new facets of the characters and create new tensions between them. They also give free rein to Kim’s range, allowing her to play with intonation, gestures, flickering looks.”
– Manohla Dargis, The New York Times

“I loved Right Now, Wrong Then. I thought it was brilliant.” Isabelle Huppert, Schauspielerin

„Kein Filmemacher versteht die entlarvenden Untertöne des Small Talk besser wie Hong Sang-soo.“ L. A. Times

„Federleicht und heiter.“ SRF Kultur

Right Now, Wrong Then may well be his masterpiece. Winner of the Locarno festival’s top prize, it’s an ingeniously bisected foiled-romance study, playing out the same brief Suwon encounter between a visiting filmmaker and a young local painter twice, the minor variations in each version rich with rueful philosophical implication.” The Guardian

„The Power of Soju“ Text von Rudolf Thome (Stadtkino Zeitung)

Biografie

Hong Sangsoo ( 홍상수) debütierte 1996 mit seinem erstaunlichen Spielfilm The Day A Pig Fell Into The Well. Seitdem sind 30 Filme entstanden, für die Hong das Drehbuch schrieb und Regie führte. Sie alle zeichnet eine komplexe und strenge Architektur unter einer scheinbar einfachen Oberfläche aus, die durch wie zufällig wirkende Interaktionen der Figuren entsteht. Bekannt für seine einzigartige Bildsprache und seine beispiellose Filmästhetik – zählt Hong Sangsoo zu den etabliertesten Autorenfilmern des zeitgenössischen koreanischen Kinos.

 

FILMOGRAFIE (Auswahl)

2023 Unser Tag
2023 Im Wasser
2022 Walk Up
2022 소설가의 영화 Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall
2021 당신 얼굴 앞에서 (In Front of You Face)
2021 인트로덕션 Introduction
2019 도망친 여자 Die Frau, die rannte
2019 강변 호텔 (Hotel by the River)
2018 풀잎들 (Grass)
2017 그 후 (The Day After)
2017 클레어의 카메라 (Claire’s Camera)
2017 밤의 해변에서 혼자 On the Beach at Night Alone
2016 당신자신과 당신의 것 (Yourself and Yours)
2015 지금은맞고그때는틀리다 Right Now, Wrong Then
2014 자유의 언덕 (Hill of Freedom)
2013 우리 선희 (Our Sunhi)
2013 누구의 딸도 아닌 해원 (Nobody’s Daughter Haewon)
2012 다른 나라에서 (In Another Country)
2011 북촌방향 (The Day He Arrives)
2010 옥희의 영화 (Oki’s Movie)
2010 하하하 (Hahaha)
2009 잘 알지도 못하면서 (Like You Know It All)
2008 밤과 낮 (Night and Day)
2006 해변의 여인 (Woman on the Beach)
2005 극장전 (A Tale of Cinema)
2004 여자는 남자의 미래다 (Woman Is the Future of Man)
2002 생활의 발견 (Turning Gate)
2000 오! 수정 (Virgin Stripped Bare by Her Bachelors)
1998 강원도의 힘 (The Power of Kangwon Province)
1996 돼지가 우물에 빠진 날 (The Day a Pig Fell Into the Well)

Festivals & Preise

Goldener Leopard - Locarno International Film Festival
Bester Schauspieler (Jung Jaeyoung) - Locarno International Film Festival
Bester Schauspieler2015 (Jung Jaeyoung) - Korean Association of Film Critics Awards
Bester Film - Gíjon International Film Festival

Material

Filmplakat

Interviews

INTERVIEW MIT HONG SANGSOO

Interview Christopher Small & Daniel Kasman [mubi]

 

Daniel Kasman: Wie viele Ihrer Filme endet auch dieser mit einer Lektion: Der Regisseur benimmt sich in der zweiten Geschichte des Films besser, er ist ehrlicher und somit endet es besser für ihn. Gehen Ihre Filme von solchen Grundideen aus? Wo begann für Ihnen RIGHT NOW WRONG THEN?

Hong: Ich hatte zu Beginn gar keine Idee. Meistens fange ich mit gar nichts an. Ich kümmere mich um Drehorte und Schauspieler, aber nicht um Charaktere. Ich treffe sie möglichst ohne eine Intention zu haben. Ich denke mir nur: „Vielleicht will ich diesen Mann oder diese Frau sehen“, dann rufe ich sie an, wir treffen uns. Mich kümmert es nicht, was sie in anderen Filmen gemacht haben, die ich manchmal gar nicht gesehen habe. Ich will nur die Person sehen. Diese ersten Eindrücke erinnern mich dann vielleicht an etwas aus der Vergangenheit. Das ist wichtig für den Anfang. Und genauso funktioniert es auch mit Drehorten. Dann gehe ich in ein Motel oder Hotel und bleibe ein paar Tage, um über eine Struktur nachzudenken. Manchmal fange ich auch ohne das an. Das ist okay. Selbst wenn ich mir eine Struktur zurechtgelegt habe, ist sie alles andere als final, sie dient nur als Vorwand, den Film anzufangen. Manchmal beginne ich mit gar nichts. Am ersten Drehtag lege ich endgültig fest, was ich mir ausgedacht habe. Dann drehen wir und am Ende des Tages sehe ich es mir an und versuche, ein Gefühl für den Rest des Films zu bekommen. Und wenn sich das nicht einstellt, versuche ich es am nächsten Tag wieder. Normalerweise habe ich innerhalb von drei Tagen den Film im Kopf. Und dann folge ich dieser Vision und weiß manchmal nach der Hälfte des Drehs, was ich eigentlich will.

Christopher Small: Arbeiten Sie mit Schauspielern und Sets genauso, dass Sie am Drehtag die Einstellung festlegen?

Was sie sagen und tun sollen, ist immer im Drehbuch. In der Früh bekommen sie das für den jeweiligen Tag. Vor Drehbeginn beobachte ich so viel wie möglich. Ich will nicht nach irgendwelchen Plänen arbeiten, denn das bedeutet, dass man das wiederholt, was man in der Vergangenheit gehört und gesehen hat. Das ist nicht neu und nicht interessant. Ich versuche eher zu beobachten und darauf zu reagieren. Das ist alles viel interessanter als das, was ich mir vorher ausdenken hätte können.

DK: In RIGHT NOW, WRONG THEN wird zweimal dieselbe Geschichte erzählt, die sich nur minimal verändert. War es eine Herausforderung, diese Szenen noch einmal unterschiedlich zu inszenieren?

Ja, ein bisschen. Deshalb habe ich den ersten Teil geschnitten und den Hauptdarstellern gezeigt. Ohne es ihnen zu erklären – und am Schluss habe ich nur gesagt: „Vielleicht wollt ihr da ein bisschen einsamer werden oder ein bisschen mehr so.“ Ganz einfache Anweisungen. Und zum Hauptdarsteller: „Vielleicht hast du eine ähnliche Erfahrung wie beim ersten Mal, aber jetzt willst du ein guter Mann für diese Frau sein.“ Ganz einfach – ohne große Erklärungen.

CS: Das führt uns zum Ende des Films. Der Film war zuvor ziemlich geradlinig, fast schon ironisch und sehr witzig. Der Schluss ist aber sehr zärtlich: Man sieht eine Frau im Kino, der Regisseur kommt und setzt sich hinter sie, die beiden beginnen zu reden. Und als sie nach draußen gehen, schneit es. Wie haben Sie diesen Wetterumschwung in den Film gebracht?

Nun, an diesem Tag hat es geschneit und ich danke dem Himmel dafür. So arbeite ich – ich passe mich den Gegebenheiten an. Ich gehe nicht mit festen Intentionen an einen Film, sondern bin lieber offen für das, was passiert und versuche, danach zu reagieren und etwas daraus zu machen, das am Schluss ein Ganzes ergibt.

 

 

HSS BluRay Box+Buch

Zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum: Fünf Filme des koreanischen Meisterregisseurs auf Blu-ray + Buch “Hong Sangsoo – Das lächerliche Ernste”

Fünf preisgekrönte Filme des koreanischen Meisterregisseurs Hong Sangsoo auf Blu-ray. Die Box enthält: Right Now, Wrong Then (2017) | On The Beach At Night Alone (2019) | Die Frau, die rannte (2020) | Introduction (2021) | Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall (2022) plus das Buch “Hong Sangsoo – Das lächerliche Ernste” von Sulgi Lie.

FSK: ab 0 Jahren

5 Filme – 3 Blu-Rays

Sprache / Ton: koreanisches OmU
Bildformat: 16:9
Untertitel: Deutsch
Laufzeit: 66 – 121 min.

Regionalcode: codefree

Preis Österreich: €64,95
Bestellung: kontakt@lestudio.at oder direkt via Paypal (LE STUDIO Film und Bühne)

Buch über HSS

Ende 2022 erscheint erstmals eine Buchpublikation zu Hong Sangsoo in deutscher Sprache: "Hong Sangsoo. Das lächerliche Ernste" von Sulgi Lie bei der Edition Le Studio.

 

Sulgi Lie ist Filmwissenschaftler und Theoretiker. Er ist Gastprofessor am Institut für Kunstwissenschaft und Ästhetik an der Universität der Künste Berlin. Er ist Autor von „Gehend Kommen. Adornos Slapstick: Charlie Chaplin & The Marx Brothers“ (Berlin 2022) und „Towards a Political Aesthetics of Cinema: The Outside of Film“ (Amsterdam 2020). Momentan arbeitet er an einer Studie zum Verhältnis von Technik und Körper in der Filmkomödie.

ISBN 978-3-9505312-0-6
80 Seiten
Erste Auflage 30. Oktober 2022
Erhältlich u.a. im Satyr Buchhandlung (Metro Kinokulturhaus), Österreichisches Filmmuseum und weitere
Buchhandlungen in Wien: Buchhandlung List, Oechsli Buch&Papier, phil, Walter König Buchhandlung im Museumsquartier
Preis: € 15,00
Bestellungen: kontakt@lestudio.at

Text von Esther Buss

KINO, GANZ EINFACH

 

„Die Worte ... sie kommen einem in die Quere“, bricht es ungefähr in der Mitte von RIGHT NOW, WRONG THEN aggressiv, mehr noch, verzweifelt aus Ham Chunsu heraus. Die Situation: ein Publikumsgespräch im Anschluss an eine Filmvorführung auf einem Provinzfestival in der Nähe von Seoul. Ham ist Regisseur von Arthouse-Filmen (so heißt es einmal) und er wird vom Moderator, einem Filmkritiker, gebeten, die Bedeutung des Kinos zu erörtern – „in einem kurzen Satz bitte“. Ham setzt noch einigermaßen gefasst an und kommt dann mehr und mehr von der Spur ab. Es sind die Nachwirkungen vom Vortag, den er fast ausschließlich mit einer jungen Malerin verbracht hat. Am späten Abend kippte es – und Schuld daran waren weniger die Unmengen von Soju als vielmehr die Worte und ihre Dissonanzen, die unweigerlich entstehen, wenn sie das Leben – Erfahrungen, Gefühle, Gedanken – zu beschreiben versuchen. Die Worte kamen Ham in die Quere, immer wieder.

Es kommt nicht nur den Figuren allerhand in die Quere in Hong Sang- soos neuem Film. Das fängt schon an mit dem Titel: Er heißt RIGHT THEN, WRONG NOW und man kann darüber, wenn man nicht gerade Hong-Spezialistin ist, zunächst schon etwas in Verwirrung geraten (wobeidie Verwirrung eines der schönsten Gefühle beim Sehen eines Hong-Films ist und fast schon systemisch dazugehört). Die Geschichte ist so einfach und verzwickt wie alle Geschichten in Hongs Filmen einfach und verzwickt sind. Und wie in allen finden sich auch in dieser die typischen Hong-Motive: die Figur eines Filmregisseurs und damit verbunden, in ein selbst-reflexives Moment, ein touristischer Ort (hier: die Palastanlage Haenggung) gepaart mit der Anonymität der Straßen, Cafés und Bars, die Begegnung mit einer Frau und das Bemühen, sie zu gewinnen. Dazu ein Trinkgelage, emotionale Ausbrüche, Entgleisungen und Momente der Niedergeschlagenheit, Abschiede. Erzählt wird von einem verheirateten Filmregisseur (Jung Jaeyoung), der versehentlich zu früh zu einer Filmvorführung in Suwon anreist und an dem geschenkten Tag einer etwas verloren wirkenden, schönen Künstlerin (Kim Min-hee) über den Weg läuft. Yoon Heejung, so ihr Name, trinkt in einer Tempelanlage selbstversunken ihre Bananenmilch, Ham spricht sie an, sie gehen in ein Café, Heejung lädt ihn in ihr Atelier ein und zeigt ihm ihre abstrakten Malereien, sie stranden in einer Sushi- Bar und schließlich bei Bekannten von ihr. Dabei läuft einiges falsch. Es ist eine Geschichte der Missverständnisse, der Täuschungen, Lügen und Verfehlungen, zurück bleibt ein schmerzhafter Kater. Und dann beginnt RIGHT NOW, WRONG THEN, die gleiche Geschichte – mit mal leichten, mal stärkeren Variationen in der Szenenfolge, der Bild-auflösung, des Dialogs, der Gesten, Blicke und Tonalität (und des Wetters). Es ist ein etwas anderer Film – und eine etwas andere Verfehlungsgeschichte.

Richtig und falsch sind für sich genommen zunächst einmal zwei oppositionelle Größen, + und – (der französische Titel betont diese Lesart: UN JOUR AVEC, UN JOUR SANS) oder vielleicht eher a und b. Es sind Größen, die eine Differenz markieren und weniger moralische Kategorien bezeichnen, auch wenn der zweite Teil in vielerlei Hinsicht wie eine „Verbesserung“ des ersten Teils aussieht. Aber das wäre dann doch zu einfach. RIGHT NOW, WRONG THEN ist keine koreanische Antwort auf Harold Ramis’ GROUNDHOG DAY (UND TÄGLICH GRÜßT DAS MURMELTIER), was hier vor allem heißt: Die Figuren im zweiten Teil haben kein Wissen über den ersten, sie können also nicht an sich arbeiten, besser oder aufrichtiger oder ehrenvoller agieren. Das Echo – oder das Déja-Vu – ist allein auf Seiten des Betrachters. Wobei Hong den ersten Teil des Films zuerst komplett fertig gedreht, geschnitten und seinen beiden Schauspielern gezeigt hat – erst dann wurde die Arbeit am zweiten begonnen. Selbst wenn die Figuren kein Wissen über „ihre“ vergangenen Handlungen haben, ist man mit ihren Darstellern ein Stück weit komplizenhaft verbunden.

Nun ist der Einsatz von Doppelungen, Spiegelungen, Wiederholungen und Rekonfigurationen in Hongs Filmen natürlich nichts Neues – er ist so etwas wie die Existenzgrundlage des Werks überhaupt. In VIRGIN STRIPPED BARE BY HER BACHELORS (2000), benannt nach Marcel Duchamps zweigeteiltem Doppelglas-Objekt, wird eine Liebesgeschichte einmal aus der männlichen, einmal aus der weiblichen Perspektive erzählt. Auch in TURNING GATE (2002) teilt sich der Plot in zwei Teile. Und in TALE OF CINEMA (2005) faltet sich die Doppelung in die Geschichte selbst hinein – als Film-im-Film-Erzählung. RIGHT NOW, WRONG THEN (es ist übrigens der erste Film von Hongs 17 Filmen, der in Österreich regulär im Kino zu sehen ist) funktioniert noch mal anders. Der Film stellt zwei Möglichkeiten einer Begegnung vor, die unendlich viele weitere Möglichkeiten in sich trägt – wobei man trotz der Parallelexistenz beider Geschichten nicht wirklich anders kann als RIGHT NOW, WRONG THEN wie ein Remake von RIGHT THEN, WRONG NOW zu betrachten. Die Wiederholung lenkt den Blick dabei nicht nur auf den Reichtum an Erzählmöglichkeiten, sondern ebenso auf die Wiederholungszwänge und Auto-matismen, die das menschliche Handeln bestimmen –weniger geht es um die kausalen Verkettungen, denn für diese interessiert sich Hong nicht (und für die Idee einer schicksalhaften Mechanik erst recht nicht).

So sehr jeder der beiden Teile auch für sich steht, eigenständig funktioniert: Im Spannungs-verhältnis von Wiederholung und Variation liegt ein Großteil des Vergnügens. Hier lassen sich die kleinsten, feinstofflichen Bausteine der sozialen Interaktion studieren: die Selbstdarstellung, die Projektion, das Zusammenspiel von Verführung und Interesse und so weiter. Im ersten Teil bemüht sich Ham sehr darum, Heejung zu gefallen. Er macht ihr Komplimente, betont Gemeinsamkeiten, er vermeidet alles, was Dissenz herstellen könnte – umso größer die Störung, als sich herausstellt, dass Ham verheiratet ist. Dabei hat die Kommunikation zwischen ihnen von Beginn an etwas seltsam Verstelltes – etwa das umständliche Hin- und Her als die Malerin im Atelier feststellt, dass der Kaffee aus ist, neuen holen will, es aber dann doch nicht tut –, während sie an anderer Stelle allzu glatt verläuft. So stellen sich Hams Worte, mit denen er Heejungs Bilder lobt (sinngemäß: sie weiß nicht, wohin sie der Weg führt und deshalb entdeckt sie unterwegs umso mehr) als identisch heraus mit den Worten, die er in Interviews auf seine eigenen Filme anwendet. Im zweiten Teil ist die Szene im Atelier ein Wendepunkt – nicht nur in der Beziehung zwischen den beiden Figuren, sondern auch in der zwischen Teil eins und Teil zwei Ham nämlich kritisiert Heejungs Bild als „Trostmalerei“. Zwar findet er es zunächst wieder „großartig“, doch nach kurzer Überlegung wirft er ihr Risikoscheuheit und Konventionalität vor. Heejung wehrt sich heftig gegen seine Kritik und straft ihn mit Rauchverbot ab, doch nachdem sich die Wogen geglättet haben, herrscht eine umso größere Vertrautheit zwischen ihnen. In der Sushi-Bar legt der inzwischen sturzbetrunkene Ham jede emotionale Hemmung ab: Seinem Liebesgeständnis folgt unmittelbar ein Heiratsantrag, mit der Einschränkung, dass er sie leider nicht heiraten könne, da er ja schon verheiratet sei. Heejung findet das alles ein wenig übergeschnappt, aber auch ganz schön und irgendwie auch ein bisschen traurig. Bei Ham sind nun alle Schleusen offen – obskurer Höhepunkt seiner Allüren ist die vollständige Entkleidung vor Heejungs Freunden – „mir war einfach danach“ (seine Überschreitung wird großzügigerweise unter Künstlerexzentrismus verbucht). Gewiss finden sich noch unzählige weitere Differenzen zwischen Teil eins und zwei. Manche davon haben Gewicht – beispielsweise Hams Voice-Over und die wesentlich dramatischeren Zoom-Ins im ersten oder die straffere, kompaktere Erzählweise im zweiten Teil – andere weniger: etwa, dass Heejung einmal mit Orange malt, das andere Mal mit Grün.

Alles ist an seinem richtigen oder falschen Platz in RIGHT NOW, WRONG THEN. Doch so konsistent die Form auch ist, so seriell die Filmgrammatik, so zufällig und experimentell ist das, was darin stattfindet – weshalb Hongs Arbeiten unabgeschlossener und freier wirken als so mancher Film, der freischwebend und mit offenen Rändern daherkommt. Der Zufall will es jedenfalls, dass Heejung zur Vorführung von Hams Film kommt. Die Verrücktheit der letzten Nacht ist vorbei, doch zurück bleibt ein zärtlicher Nachhall. Wenn sie am Ende aus dem Kino tritt, schneit es dicke Flocken.

ESTHER BUSS arbeitet als Film- und Kunstkritikerin. Sie schreibt u.a. in Freitag, kolik.film, Texte zur Kunst, frieze, Spex und Jungle World.

HSS Retrospektive

Hong Sang-soo Frühe Werke
Österreichische Filmmuseum
2. bis 30. November 2022

 
Die außergewöhnliche Produktivität des südkoreanischen Regisseurs Hong Sang-soo manifestiert sich in 28 Filmen und drei Kurzfilmen in 26 Jahren: eine Welt, in die man bei unserer zweiteiligen Retrospektive eintauchen kann. Jeder der Filme ist dabei wie ein Baustein von einem Gebäude, in dem man sich in einem Taumel aus Differenzen und Wiederholungen (und Reduktionen) alsbald wieder verliert.
 
1960 als Sohn einer Filmproduzentin geboren, studierte Hong Film in Seoul und den USA. Auf dem Rückweg nach Südkorea widmete er sich einer regelrechten Filmorgie in der Pariser Cinémathèque und drehte nach einigen Regiearbeiten für das Fernsehen 1996 seinen ersten Kinospielfilm. Sein Stil ist absolut unverwechselbar, seine Filmsprache folgt ihrer eigenen Grammatik: eine Geschichte, die sich ausgehend von einem Ereignis, über das wenig bis gar nichts bekannt ist, entfaltet; eine Betonung der weiblichen Perspektive sowie der Unzulänglichkeit, Feigheit und/oder Grausamkeit der Männer; Besäufnisse, die Wahrheiten enthüllen; statische Einstellungen von sprechenden Menschen; langsame Zooms auf die Figuren in Schlüsselmomenten von langen Plansequenzen, und sehr oft eine Zäsur, mit der eine Spiegelung/Variation der Geschichte einsetzt.
 

Nach ein paar experimentellen Versuchen entschied sich Hong unter dem Einfluss von Robert Bressons Journal d'un curé de campagne (Tagebuch eines Landpfarrers, 1950) für das Erzählkino. Jahrelang trägt er Bressons Buchs Notizen zum Kinematographen als Vademecum bei sich, in dem man eine Art Manifest für Hongs Filme lesen mag: "Ein kleines Sujet kann Vorwand sein für vielfältige und tiefe Kombinationen. Meide die zu weiten oder zu entfernten Sujets, wo nichts dich warnt, wenn du dich verirrst. Oder aber nimm davon nur, was in dein Leben vermengt sein könnte und aus deiner Erfahrung kommt." Denn sowohl Hongs Protagonist*innen (Regisseure, Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen, Uni-Professoren, Filmstudent*innen) als auch die Schauplätze (Seoul und andere koreanische Städte, Paris, wo er gelebt hat, Cannes und Berlin, wo er oft mit seinen Filmen bei Festivals zu Gast ist) sind ihm nah.
 
In ihrer angenehmen und fesselnden Weise wirken seine Filme absichtlich eher leichtgewichtig. Hong vermeidet Selbstgefälligkeiten und auffällige Ambition, er baut lieber filigrane Strukturen aus scheinbar beiläufigen, spielerischen und sardonischen Beobachtungen, um Banalitäten entwirft er eine Choreografie des Alltags in all seinen Unwägbarkeiten. Hongs Filme könnten auch als Studien der Idiotie gesehen werden, der Filmwissenschaftler Sulgi Lie spricht vom "lächerlichen Ernst".

Im November zeigen wir Hongs frühe Werke, die besser budgetiert und länger sind als die späteren Filme der 2010er Jahre. Sein Debüt ist die Romanverfilmung Daijiga umule pajinnal (The Day a Pig Fell Into the Well, 1996), deren düstere Charaktere noch vom Ende der Militärdiktatur geprägt sind und sich als feige, unreife und ignorante Männer erweisen. Wie seine Regiekollegin Claire Denis feststellte, sind Frauen die eigentlichen Heldinnen von Hongs Filmen. Schon im selbstverfassten Zweitling Kangwondo eui him (The Power of Kangwon Province, 1998) zeigt sich Hongs Freude am Spiel mit der Filmstruktur.

Während seines Studiums des experimentellen Films in Chicago hatte Hong eine Offenbarung durch ein Bild von Cézanne: "Wenn ich sein Gemälde sehe, brauche ich nichts anderes mehr". Bei Eric Rohmer findet er diese Geste Cézannes wieder: Objekte einer konkreten Situation (ein Berg, ein Baum oder eine Karaffe) verwendet er als Rohmaterial, um zur Abstraktion zu gelangen. Cézanne zeichnet die Linien zwischen einer konkreten Umgebung und einer abstrakten Konstruktion. Während Cézanne hier aufhört, wäre Picasso weitergegangen – und just diese Zwischenwelt interessiert auch Hong, der sagt: "In Kangwondo eui him und Oh! Soo-jung (The Virgin Stripped Bare by Her Bachelor, 2000) ist das Verhältnis von Konkretem und Abstraktion wasserdicht; man muss diese Filme auf zwei Ebenen sehen. Mit Saenghwalui balgyeon (On the Occasion of Remembering the Turning Gate, 2002) und Yeojaneun namjaui miraeda (Woman Is the Future of Man, 2004) habe ich diese sehr künstliche Konstruktion aufgegeben und versucht, in der Mitte zu sein."

Mit Keuk jang jeon (Tale of Cinema, 2005) wird ein neuer Zyklus eingeleitet, auch gründet Hong Sang-soo bei dieser Gelegenheit seine Produktionsfirma, Jeonwonsa. Mit Hilfe eines Films-im-Film erweitert er die formalen Möglichkeiten, fügt eine Stimme aus dem Off hinzu und führt das ein, was zu seinem Markenzeichen wird: den Zoom. Anschließend legt der von Jean Renoirs The Woman on the Beach (1947) übernommene Titel Hawbyuneui yoein (Woman on the Beach, 2006) nahe, dass Hong den von ihm verehrten Filmemachern (Bresson, Rohmer, Ozu, Buñuel, Renoir, John Ford), treu bleibt, aber der Film etabliert vor allem einen komödiantischen Impetus in seinem Werk: von Männern in einer Fantasiewelt und Frauen, die ihrer Bildwerdung zu entkommen versuchen. Ban gua nat (Night and Day, 2008) schließlich ist Hongs erster im Ausland gedrehter Film: Ein junger Maler flieht nach Paris und findet sich am Ende in einer koreanischen Gemeinschaft wieder. Jal aljido mothamyeonseo (Like You Know It All, 2009) wiederum hebt das Vertrauen von Hongs Kino in die Zuschauer*innen hervor: Seine Filme bauen ein Universum auf, in dem das Publikum besonders willkommen ist, weil ihm ein Platz in der Dramaturgie eingeräumt wird. (Pierre-Emmanuel Finzi)
 
In Kooperation mit der Botschaft der Republik Korea in Wien
 
Teil 2 dieser Retrospektive, der sich den jüngeren Arbeiten von Hong Sang-soo widmet, zeigen der Filmmuseum kommenden Dezember und Jänner.